Skandal um Lady Amelie
trübe Gedanke angesichts der Tatsache, dass er gekommen war, entschlossen, wütend, Besitz ergreifend und voller Abneigung gegen Stephen. Letzteres erfreute sie zwar nicht, verstärkte aber zumindest ihr schwindendes Selbstvertrauen ein ganz klein wenig. Dass er eifersüchtig war, geschah ihm nur recht. Vielleicht sollte sie ihn nicht zu rasch in Sicherheit wiegen.
Als sie endlich in den frühen Morgenstunden ins Bett sank, schlief sie mit der Erinnerung an ihren Geliebten ein, an seine Umarmung und sein Versprechen. Ich werde dir bis ans Ende der Welt folgen. Würde sie ihm nun sagen müssen, warum sie ihn nicht heiraten konnte?
Wie nicht anders zu erwarten, verlief der Besuch bei der Familie Elwick ziemlich hitzig, und nicht einmal Adorna kam ganz unbeschadet davon. Als Lord Elyot später erschien, um Amelie davon zu erzählen, fand er sie im verregneten, windumtosten Garten hinter dem Haus, wo sie, mit Schere und Korb bewaffnet, Samenstände von den Stauden schnitt.
„Was zum Teufel machst du hier draußen in dem Wind?“, rief er ihr zu, während er ein paar Ranken auswich, die von der Pergola herabhingen.
„Auch Ihnen einen guten Morgen, Sir“, entgegnete sie ironisch. „Muss ich fragen, wie es bei Ihrer Schwester zuging? Sind Sie der einzige Überlebende?“
Der Sturm zerrte an ihrem Umschlagtuch und riss es ihr fast von den Schultern. „Komm ins Haus“, verlangte er, „und biete mir Tee an, wie es einer zivilisierten Frau ansteht.“ Trotz der tadelnden Worte blickte er sie bewundernd an, denn sie sah hinreißend aus in dem Kleid, das ihr feucht am Körper klebte. Die gelösten Locken hingen ihr wild zerzaust um die Schultern, ganz anders als sonst, wenn sie im Salon präsidierte.
„Gott bewahre“, murmelte sie, während sie ihm voran zum Haus zurück und in den Salon ging, wo ein munteres Feuer im Kamin brannte. Sie fügte sich in den Raum mit seinen Pastelltönen ein, als hätte sie ihr Kleid speziell dazu passend gewählt. Abermals bemerkte sie mit Freuden, dass er ihren Geschmack bewunderte und in stummer Wertschätzung die funkelnden Gläser, das Silber und die Gemälde betrachtete. „Nun, Sir, darf ich Ihnen einen Platz anbieten?“, fragte sie, während sie schon den Klingelzug betätigte.
„Hmm“, murmelte er. „Und was macht die Patientin? Schon erholt?“
„Einigermaßen. Ich habe sie im Bett frühstücken lassen, und jetzt gerade spielt sie oben auf dem Piano; sie ist zwar ein wenig niedergedrückt, aber nicht allzu durcheinander.“
„Also hat ihr das Ausreißen nicht geschadet?“
„Geschadet? Nun, Sir, unbeschadet ist sie nicht, doch schreibe ich das hauptsächlich einem gebrochenen Herzen zu. Es tut mir nur weh, dass sie sich das falsche Heilmittel dagegen aussuchte.“
„Gibt es überhaupt eines dagegen?“
Um ihn nicht ansehen zu müssen, schaute sie in den sturmumtosten Garten hinaus. „Ich weiß es nicht. Wenn es eines gibt, kommt es für Caterina nicht infrage. Sie wird die viel zitierte Zeit zu Hilfe nehmen müssen.“
Mr. Killigrew trat ein und zog sich, nachdem Amelie um Tee und Muffins gebeten hatte, mit einer Verbeugung wieder zurück.
„Bitte, Sir, erzählen Sie mir, was Tam zu sagen hatte.“
„Zuerst einmal, Amelie, erinnere dich: Kein Mylord, kein Sir, wenn wir allein sind? Und ja, Tam … ich fürchte, er bot keine Erklärung, sondern eine Ausrede, nämlich die, dass alle seine Freunde Laudanum nehmen, er selbst auch schon seit über einem Jahr. Er hätte nicht gedacht, dass es Miss Chester schaden könnte, und so weiter und so weiter. Er scheint keine Vorstellung davon zu haben, wie schädlich dieses Mittel für junge Menschen – und besonders für junge Mädchen – sein kann. Er ist ein gedankenloser kleiner Schwachkopf. Einen muss es wohl in jeder Familie geben. Und damit du nicht fragen musst: Ich habe ihn auf der Stelle heim zu seinem Vater geschickt. Der hätte ihn Dorna gar nicht erst an den Hals hängen dürfen. Die hat mit ihren beiden Kleinen genug zu tun. Elwick hatte mir zwar gesagt, dass er ihn aus Richmond entfernen würde, aber nicht erwähnt, dass meine Schwester ihn mitnehmen sollte.“
„Also glauben Sie …“, sie zögerte kurz, „… glaubst du nicht, dass Tam meiner Nichte schaden wollte, um sich an Seton zu rächen?“
„Nein, so weit denkt dieser junge Hund nicht, dazu hat er gar nicht den Verstand.“
„Stephen glaubt das aber.“
„Er kennt den Jungen nicht so gut wie ich. Aber ich verstehe ihn. Ich glaube,
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