Skandal
auf den Köpfen sitzen hatten.
Zwei oder drei der Frauen kicherten, als Lady Turnbull vortrat, um Emily zu begrüßen. Als sie ihren Platz einnahm, wurde sich Emily schmerzlich der Neugier und der Belustigung der anderen bewußt. Es war, als hätte man sie engagiert, um die Damen mit ihrer exzentrischen Art zu unterhalten, dachte sie verärgert.
Sie fing an, sich zu fragen, ob sie einen ernst zu nehmenden Fehler gemacht hatte, als sie die Einladung angenommen hatte, sich diesem Grüppchen anzuschließen. In dem Moment ließ Ashbrook eine elegante emaillierte Tabaksdose zuschnappen und stieß sich von dem Kaminsims ab, an dem er mit graziöser Lässigkeit gelehnt hatte. Er kam auf sie zu und küßte ihr die Hand und verlieh Emily somit augenblicklich Prestige. Emily lächelte ihn dankbar an.
Emily war jedoch noch mehr enttäuscht, als die Gespräche sich sofort dem neuesten Klatsch zuwandten und nicht etwa der neuesten romantischen Literatur. Sie hörte sich ungeduldig die neuesten Gerüchte an und fragte sich, wie schnell sie wohl diese Gesellschaft wieder verlassen könnte. Es war offensichtlich, daß sie sich keineswegs in einer Gruppe von klugen Intellektuellen befand. Es stimmte wohl, daß alle im Salon unglaublich gekonnt die Langeweile ausstrahlten, die groß in Mode war, und jedes Wort, das fiel, triefte von weltverdrossenem Zynismus, doch hier bestand kein Interesse an literarischen Fragen. Ashbrook fing vom anderen Ende des Salons ihren Blick ein und blinzelte verschwörerisch.
»Übrigens«, sagte ein Gentleman, der als Crofton vorgestellt worden war, gedehnt, »hatte ich kürzlich das Vergnügen, mit Ihrem Vater Karten zu spielen, Lady Blade.«
Das zog Emilys gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Sie sah ihn überrascht an. Sie trug ihre Brille, und daher konnte sie Croftons brutales und verlebtes Gesicht recht deutlich erkennen. Sie vermutete, daß er mit seinen scharfgeschnittenen finsteren Gesichtszügen früher einmal ein gutaussehender Mann gewesen war. Doch jetzt wirkte er von seinen Ausschweifungen abgestumpft und sehr heruntergekommen. Emily hatte Crofton schon von dem Moment an nicht gemocht, in dem sie ihm vorgestellt worden war.
»Ach, wirklich?« Sie trank einen Schluck von ihrem Tee.
»Ja, tatsächlich. Ihr Vater ist ja wirklich ein Spieler, der immer gleich aufs Ganze geht.«
»Ja.« Emily betete um einen Themenwechsel.
»Er scheint in der letzten Zeit ein wenig niedergeschlagen zu sein«, bemerkte Crofton. »Man sollte meinen, daß er vor Begeisterung außer sich ist, wenn man bedenkt, wie ausgezeichnet er Sie verheiratet hat.«
»Sie wissen doch, wie Väter sind«, sagte Emily, deren Verzweiflung stieg. »Ich war seine einzige Tochter.«
»Soweit ich weiß, waren Sie extrem wichtig für ihn«, murmelte Crofton. »Man könnte sogar behaupten, Sie seien für sein Wohlbefinden von lebenswichtiger Bedeutung gewesen.«
Emily sah Ashbrook an und lächelte hoffnungsvoll. »Haben Sie Mrs. Fordyces letzten Versuch gelesen, Mylord?«
»Mrs. Fordyce ist eine reizlose alberne Vogelscheuche von einer Frau, der es betrüblich an Intelligenz und Talent mangelt.« Ashbrook traf diese radikale Aussage mit einer Aura vollständiger Langeweile.
Emily biß sich auf die Lippen. »Mir hat ihr neuer Roman recht gut gefallen. Sehr eigentümlich und interessant.«
Das kleine Grüppchen lachte nachsichtig über diese Kostprobe ländlichen Geschmacks und wandte sich wieder einer Diskussion über Byrons letzte Streiche zu. Emily riskierte einen Blick auf die Uhr und wünschte, es sei an der Zeit, endlich gehen zu können. Sie hörte sich das Geschwätz um sie herum an und kam zu dem Schluß, daß der Literarische Zirkel von Little Dippington bei seinen Treffen am Donnerstagnachmittag weit mehr bewerkstelligte, als man in diesem eleganten Salon je erreichen würde. Wie immer, wenn sie sich langweilte oder unglücklich war, beschäftigte sie sich geistig damit, an neuen Versen für Die Geheimnisvolle Dame zu arbeiten.
Das Gedicht schrie tatsächlich regelrecht nach einem Geist, entschied sie. Das melodramatische Element war noch nicht ausgeprägt genug. Vielleicht konnte sie die Heldin in einem leerstehenden Schloß einer Geistererscheinung begegnen lassen. Sie mußte daran
denken, Ashbrook zu sagen, daß sie beabsichtigte, noch einen Geist einzubauen. Sie hatte das Manuskript heute nachmittag in ihrer Handtasche mitgebracht, fragte sich jedoch, ob sie es ihm jetzt schon überreichen sollte. Es könnte
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