Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
Morgenzimmer verließen, denn sie wusste genau, dass von ihr erwartet wurde, weiblichen Beschäftigungen nachzugehen, während sie wichtigere Sachen besprachen.
Die Damen verbrachten den Tag damit, neue Musterbücher durchzugehen auf der Suche nach Möbeln für das Dower House. Nell hockte ungeduldig auf dem Sofa und betrachtete Stoffmuster um Stoffmuster und Seite um Seite mit Möbeln, während sie sich eigentlich danach sehnte, zu den Herren ins Arbeitszimmer zu gehen. Sie wusste, dass sie besprachen, wie sie am besten die Identität der getöteten Frau aufdecken und ihren Mörder fassen konnten. Sie runzelte die Stirn. Sie wusste mehr über den Schattenmann als sonst irgendjemand, aber fragten sie sie nach ihrer Meinung? Sie schnaubte. Natürlich nicht! Sie war ja bloß eine Frau, der man den Kopf tätschelte und die vor allem Übel bewahrt werden musste. Sie wusste, Julian wollte sie wirklich nur beschützen, aber es war albern. Sie befand sich schon mittendrin. Sie sollte bei ihnen im Arbeitszimmer sein, statt Lady Dianas erfreuten Ausrufen zu lauschen, wenn ein Stoffmuster oder ein Stuhl gefunden wurde, der ihre Billigung traf.
Unfähig, es auch nur einen Moment länger auszuhalten, sprang sie auf und machte sich nach einer Entschuldigung an die beiden Damen mit kampfeslustig gerecktem Kinn auf die Suche nach ihrem Ehemann. Sie entdeckte Julian und Marcus im Arbeitszimmer, wo sie immer noch saßen. An ihren Mienen bei ihrem Eintreten erkannte sie, dass sie den Mord diskutiert hatten.
Beide Männer standen auf, als sie hereinkam, aber sie winkte ihnen, sich wieder zu setzen und nahm selbst auf einem schmalen Sofa mit geschwungener Lehne in der Nähe
des Kamins Platz. Dann schaute sie ihnen beiden nacheinander ins Gesicht. »Ich bitte um Verzeihung, dass ich so hereinplatze, aber es ist albern, so zu tun, als ob ich nichts zur Klärung der Angelegenheit beizutragen hätte.« Auf Julians Gesicht erschien ein sturer Ausdruck, und sie erklärte rasch: »Du weißt, dass ich Recht habe, dass ich ein sehr persönliches Interesse daran habe, aufzudecken, wer das arme junge Mädchen umgebracht hat. Ein wesentlich persönlicheres Interesse als jeder von euch beiden.«
Marcus war verblüfft. Er starrte Julian ungläubig an. »Du hast es ihr erzählt?«
»Nicht wirklich«, erwiderte Julian grimmig. Er musterte Nells entschlossene Miene und seufzte. Er hatte eine starke Frau geheiratet, die nicht zulassen würde, dass er sie in Hermelin und Seide hüllte und sie sicher im Hintergrund hielt. Nein, dachte er mit widerwilliger Bewunderung, meine Nell hat Mumm - und war, wie es schien, wild entschlossen, sich mitten in die Gefahr zu begeben.
»Nicht wirklich? Was zur Hölle soll das bedeuten?«, verlangte Marcus zu wissen, dessen Blick von dem einen angespannten Gesicht zum nächsten glitt. »Was, zum Teufel, geht hier vor?«
Julian seufzte. »Willst du es ihm sagen, oder soll ich das tun?«
Nell hatte gewusst, wenn sie in das Zimmer ginge, müsste sie Marcus in das Geheimnis ihrer Albträume einweihen. Allerdings hatte sie nicht geahnt, wie schwer es sein würde, einen Fremden davon zu überzeugen, dass sie keine Anwärterin auf einen Platz in Bedlam war. Es half, dass Julian sie unterstützte. Und dass er ihr glaubte. Sie begann ihre Geschichte …
Es war Julians unerschütterlicher Glaube an sie, der schließlich Marcus’ Skepsis überwand. Wie Julian anfangs
auch, hatte er Zweifel und Bedenken gehabt. Aus den Blicken, die er immer wieder seinem Cousin zuwarf, konnte man erkennen, dass er meinte, sie seien beide verrückt. Aber nach und nach, als sie und Julian ihm alles darlegten, fing er an, ihr Glauben zu schenken.
»Ich kann es nicht fassen! Sie haben gesehen, wie John ermordet wurde?«, fragte Marcus mehrere Male. »Sie haben es mit angesehen? In Ihrem … äh, Albtraum?«
Geduldig versicherte ihm Nell, dass dem so war, und versuchte sich nicht zu ärgern, als er zu Julian blickte, von ihm bestätigt haben wollte, dass es stimmte, was sie sagte.
Als er aber erst einmal für die Vorstellung empfänglich war, dass sie tatsächlich die Ermordung von John Weston vor zehn Jahren beobachtet hatte, schien es ihm leichter zu fallen, auch zu akzeptieren, dass sie den Mord an mehreren unschuldigen jungen Frauen, die von demselben Mann getötet wurden, ebenfalls geträumt hatte. »Davon sind Sie überzeugt? Es ist kein Irrtum?«
»Ja, es ist immer dasselbe. Und nein, ich irre mich nicht«, antwortete sie scharf, »und
Weitere Kostenlose Bücher