Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
erzählte in bewusst leichtem Ton von dem blutrünstigen Vorhaben der Herren, einem kapitalen Hirsch nachzusetzen. Die beiden anderen Frauen waren noch ganz mit ihren Ideen und Plänen für die Renovierungsarbeiten beschäftigt und akzeptierten ihre Erklärung für Julians und Marcus’ Abwesenheit im Speisesalon ohne Weiteres.
Nell brachte den Abend irgendwie hinter sich, lächelte, machte passende Bemerkungen, lauschte aber mit einem Ohr auf Geräusche, die von der Heimkehr ihres Mannes kündeten. Die Stunden zogen sich in die Länge, verstrichen quälend langsam.
Etwa um elf Uhr unterdrückte Lady Diana höflich ein Gähnen. Sie stand auf und schüttelte ihre Röcke aus und sagte: »Oh je, ich fürchte, ich muss mich entschuldigen. Wer hätte gedacht, dass ein Haus einzurichten so ermüdend sein kann?«
Elizabeth erhob sich ebenfalls und schickte sich an, zu Bett zu gehen. Mit einem Blick zu Nell erkundigte sie sich: »Gehst du auch ins Bett?« Lächelnd fügte sie hinzu: »Ich an deiner Stelle würde nicht auf sie warten. Aus früherer Erfahrung wissen Mama und ich, dass, wenn Lord Wyndham und
Mr. Sherbrook auf die Jagd gehen, sie jedes Zeitgefühl verlieren.«
»Oh ja!«, rief Lady Diana. »Ich erinnere mich noch an ein Mal, als sie für drei Tage verschwunden blieben. Sie waren einem Fuchs nachgesetzt, der natürlich entkam, aber Julians Pferd verlor ein Hufeisen, sodass sie in einem kleinen Dorf irgendwo im Nichts landeten, bis sie einen Hufschmied finden konnten. Mein Ehemann hielt das alles für einen kolossalen Scherz, aber ich war in großer Sorge. Wir hatten keine Ahnung, wo sie steckten oder wann sie zurückkehren würden.« Sie tätschelte Nell die Wange. »Aber sie sind zurückgekommen, hungrig und schmutzig und in bester Laune - all meine Sorge war völlig unbegründet. Komm mit, meine Liebe, es ist nicht nötig, dass du wach bleibst und auf sie wartest.«
Nell ließ sich überreden, mit nach oben zu gehen. Die drei Damen zogen sich in ihre Schlafzimmer zurück. Nachdem sie sich von Becky in ihr Nachthemd hatte helfen lassen, entließ Nell sie. Sie betrachtete das Glas warmer Milch, das Becky ihr gebracht hatte, damit sie besser einschlafen konnte, und rümpfte die Nase. Heute Nacht würde warme Milch nichts nützen.
Entschlossenen Schrittes durchquerte sie den Raum und betrat das Reich ihres Mannes. Und dort blieb sie die nächsten Stunden, lief auf und ab, zerbrach sich den Kopf.
Nell hatte Julian und Marcus nicht heimkommen gehört, sodass sie, als die Tür aufgestoßen wurde und ihr Mann hereinkam, erschrocken nach Luft schnappte, denn sein unscharf als Umriss zu erkennender Körper trat plötzlich aus den Schatten ins Licht des Kaminfeuers.
Eine Sekunde starrten sie einander an, beide überrascht, den anderen dort zu sehen, dann erfasste sie Erleichterung,
und sie lief durch das Zimmer, warf sich ihm an die Brust. »Oh, Gott sei Dank, du bist zu Hause«, rief sie, umklammerte ihn, als wollte sie ihn nie wieder gehen lassen. Sie barg ihre Nase an seinem Hals, atmete den geliebten Duft ein. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht«, erklärte sie. »Du bist stundenlang weg gewesen.«
Sie fühlte sich herrlich an in seinen Armen, ihr schlanker Körper war weich und nachgiebig und vertrieb die Hässlichkeit des Tages. Wie sehr unterschied sich Nells liebevolle Begrüßung, dachte er unwillkürlich, von Catherines. Sogar jetzt noch konnte er Catherines gelangweilte Stimme hören und ihre unbeteiligte Miene sehen, wenn er nach längerer Abwesenheit heimkehrte, manchmal sogar mehr als einer Woche. Catherine, so dachte er trocken, hatte sich gewiss nie um ihn gesorgt. Dass Nell seinetwegen in Sorge gewesen war, berührte ihn tief, und er drückte sie fest an sich, genoss das Gefühl, sie an sich zu spüren. Sich um einen leichten Tonfall bemühend, erwiderte er: »Warum denn? Ich habe doch John Hunter mit einer Nachricht hergeschickt, dass es dauern und ich und Marcus erst spät heimkommen würden. Jetzt sag nicht, dass ich einen kleinen Zankteufel geheiratet habe, der mir ein bisschen Jagen ab und an neidet, was?«
Nell betrachtete ihn lange, eindringlich, bemerkte den Geruch von Brandy in seinem Atem, seine sorgfältige Aussprache und seine verdächtig unschuldige Miene. Da sie in einem Männerhaushalt aufgewachsen war, wusste sie um die Zeichen, die darauf hinwiesen, dass ein Gentleman sich ein bisschen zu großzügig an geistreichen Getränken bedient hatte. Gespielt aufgebracht sagte sie:
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