Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
nur eine Laune des Schicksals verhindert hatte, dass es sein Kind war, das dort wuchs, nicht Wyndhams. Unter halb gesenkten Lidern starrte er seinen Widersacher an, verfluchte ihn dafür, nicht nur unermesslich reich zu sein, sondern weil er ihm die Erbin unter der Nase weggeschnappt hatte, die er sich ausgesucht hatte. Nells Vermögen und ihr Kind hätten ihm gehören sollen! Wyndham hatte ihm alles gestohlen. Ihn betrogen. Ihn an den Rande des Ruins gebracht - seine Ländereien waren so mit Hypotheken überlastet, dass er bezweifelte, sie jemals abtragen zu können - und mindestens ebenso verhängnisvoll war, dass Wyndham von ihm verlangen konnte, seine Schulden zu zahlen, wann immer ihn die Laune überkam.
Bitter gestand sich Tynedale ein, wenn er nicht Raoul die Einladung zu einem Besuch auf Stonegate abgenötigt hätte,
hätte er nicht gewusst, wo er bleiben sollte. Seine Lage war so verzweifelt, dass er es nicht wagte, sich auf seinem eigenen Besitz sehen zu lassen - die Blutsauger lungerten bestimmt vor den Toren herum, ließen ihn noch nicht einmal auf den Stufen des Heims seiner Vorfahren mit ihren Mahnungen in Ruhe. Die Heirat mit Nell hätte das alles geändert, und wenn er daran dachte, welchen Unterschied die Ehe gemacht hätte, dann wuchsen sein Hass und seine Feindseligkeit. Zur Hölle mit Wyndham! Zur Hölle mit ihm!
Nachdem sich die Damen zurückgezogen hatten, brütete Tynedale weiter über sein ungerechtes Los. Die Klemme, in der er sich befand, war allein Wyndhams Schuld. Er ging immer wieder dessen zahlreiche Vergehen gegen ihn durch: Wyndham hatte ihm ein Vermögen gestohlen. Wyndham hatte die Frau geheiratet, die seine Braut hätte sein sollen. Und es war Wyndham, der ihn mit der Narbe für den Rest seines Lebens entstellt hatte. Unwillkürlich betastete er die unregelmäßig verheilte Haut.
Julian sah Tynedale die Narbe berühren und lächelte kalt. Wenigstens das habe ich für Daniel tun können, dachte er, während er einen Schluck von seinem Portwein trank und bedauerte, nicht mehr erreicht zu haben. Unter anderen Umständen wäre er vielleicht willens gewesen, Vergangenes ruhen zu lassen. Tynedale hatte Nell in sein Leben gebracht, und trotz der Umstände, unter denen er das getan hatte, hätte Julian ihm dafür einiges verzeihen können, aber nicht den Ruin und den folgenden Selbstmord eines jungen Mannes. Julian biss die Zähne zusammen.
»Lass sein«, verlangte Marcus leise, unterbrach seine Überlegungen und riet dabei richtig, was seinen Cousin beschäftigte. »Tynedales Schicksal soll dich jetzt nicht belasten.«
»So sehr es mir auch widerstrebt, das zuzugeben, ich
denke, du hast Recht«, erwiderte Julian. Er sah noch einmal auf die Narbe. »Wenigstens ist sein Gesicht nicht mehr so hübsch.«
»Ja, da stimme ich dir zu«, erklärte Charles, der hinter sie getreten war, »aber es ist ewig schade, dass du es nicht zu Ende gebracht hast. Er schreit förmlich danach, getötet zu werden.«
Charles war im Raum auf und ab gegangen, hatte bei allen Gästen kurz Halt gemacht und sich, wie es von einem perfekten Gastgeber verlangt werden konnte, nach und nach mit allen unterhalten. Dabei war er schließlich auch dort angelangt, wo Julian und Marcus auf ihren Stühlen saßen, die sie ein Stück vom Tisch abgerückt hatten.
»Und warum empfindest du so?«, fragte Julian mit hochgezogenen Brauen, als Charles sich neben ihn stellte.
Ohne den Blick von Tynedale abzuwenden, nahm Charles einen Schluck von seinem Brandy, den er Portwein vorzog. »Daniel ist nicht der einzige junge Narr, der in Tynedales Bann geraten ist.«
Julian stockte der Atem, und er schaute die lange Tafel hinab, dorthin, wo Raoul bei der Gruppe um Tynedale saß. »Willst du etwa sagen, dass Raoul in seine Klauen geraten ist?«
Charles zuckte die Achseln. »Es muss doch eine Erklärung dafür geben, weshalb er den Mann auf einmal so schätzt. Raoul ist kein Spieler wie ich, und ich weiß, dass seine Mutter ihn gewarnt hat, sie werde keine größeren Verluste am Spieltisch mehr dulden.« Er lächelte dünn. »Wenn ich den Grund für die plötzliche Vorliebe meines Bruders für ihn raten müsste, dann würde ich sagen, er schuldet ihm Geld.« Charles schaute dorthin, wo Raoul gerade über etwas lachte, das Chadbourne gesagt hatte. »Ich nehme an, dass Raoul den
grässlichen Moment aufschiebt, da er zu meiner Stiefmutter beichten gehen muss und sie um das Geld bitten. In der Zwischenzeit erlaubt er Tynedale,
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