Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
hatte - zur Hölle mit ihm - Recht: Je eher sie heirateten, desto eher würde der Sturm vorüberziehen.
Nicht alles Interesse an der bevorstehenden Heirat war unfreundlich. Freunde der Familie des Baronets, von denen es viele gab, strömten in das Stadthaus der Anslowes, und ihre Freude, dass sie eine so hervorragende Verbindung einging, war aufrichtig, wenn sich auch Verwunderung hineinmischte. Im Stadthaus des Earls of Wyndham fanden sich viele vornehme und mächtige Freunde des Earls ein und machten ihre Aufwartung, schienen sich zu freuen, dass Julian sich endlich eine Braut gewählt hatte. Und wenn sie seine Wahl nicht verstanden,
wer könnte ihnen daraus einen Vorwurf machen? Wyndham hätte so weit oben, wie es ihm gefiel, nach einer Frau suchen können, doch nach Jahren, in denen er zahllose ehrgeizige Mütter hoffnungsvoller Debütantinnen zur Verzweiflung getrieben hatte, hatte er ohne Vorwarnung um die Hand der Tochter eines einfachen Baronets angehalten, wenn der auch überaus angesehen und reich war.
Es hatte, nahm Nell an, auch Vorzüge, wenn man einem Earl zum Heiraten »vorgeworfen« wurde. Ihr Vater hörte nicht auf zu lächeln, und sogar ihre Brüder schienen zu denken, dass ihr etwas Beeindruckendes gelungen war, indem sie Wyndham an Land gezogen hatte. Nell wusste nicht, ob sie weinen oder lachen sollte. Sie hätte nie gedacht, dass es ihren Vater - oder gar ihre Brüder - nach einer höheren Stellung in der Gesellschaft gelüstete. Aber als sie sah, wie sie die Aura von Macht und Einfluss genossen, die den Earl umgab, änderte sie ihre Ansicht. Ich scheine die Einzige zu sein, überlegte sie säuerlich, die sich ihm nicht bereitwillig zu Füßen wirft, um seine Stiefelspitzen zu küssen. Was nicht heißen sollte, räumte sie ein, dass sie ihn nicht attraktiv fand … attraktiver, als ihr lieb war. Sie war entschlossen, sich nicht seinem Charme zu ergeben, aber es fiel ihr schwer - besonders, wenn er sie auf seine ganz besondere Weise anlächelte … Sich eine Närrin schimpfend, blickte sie doch dem rasch nahenden Hochzeitstag erwartungsvoll entgegen - mit all der Begeisterung, mit der man sich darauf freut, nackt auf einem Nadelkissen zu schlafen.
Julian empfand bei dem Gedanken an seine Vermählung eine Vorfreude und Ungeduld, die ihn selbst überraschte. Er sagte sich, es läge daran, dass er die Aufregung und die Spekulationen um seine Eheschließung hinter sich haben wollte, aber
er wusste, dass er sich dabei selbst belog. Jedes Mal, wenn er Nell anschaute - in Gedanken nannte er sie so - oder ihre Hand berührte, jedes Mal, wenn ihre Blicke sich begegneten und ineinander verfingen, hätte er schwören können, dass die Luft nach Orangenblüten duftete und er die beunruhigende Neigung entwickelt hatte, wie auf Wolken zu gehen. Dass sie keine weitere Zeit ungestört allein gewesen waren und ihre Zusammentreffen immer vor Publikum stattfanden, änderte nichts daran. Er musste sie nur durch den Raum hindurch sehen, und schon machte sein Herz einen Satz, und seine Schritte wurden beschwingter. Seine Reaktion auf sie gefiel ihm gar nicht, besonders da er sich große Mühe gab, sie für sich einzunehmen, die Dame ihn aber weiterhin mit kühler Resignation behandelte. Aber er war bereit, abzuwarten, ihr Zeit zu geben - schließlich würden sie sehr, sehr lange verheiratet sein. Julian war ein selbstbewusster Mann, eigentlich nicht eitel, aber gelegentlich fragte er sich doch, ob es nicht eingebildet von ihm war, wenn er davon ausging, dass es ihm gelingen würde, das Herz seiner Dame zu gewinnen. Sie schien jedenfalls, so musste er sich eingestehen, gegen seinen Charme immun. Und die Tatsache, dass sie so offenkundig unbeeindruckt von ihm war, weckte sein Interesse nur noch mehr.
Nicht alle waren von der Ankündigung von Miss Anslowes Verlobung mit dem Earl begeistert. Lady Wyndham wankte, mit einem Riechfläschchen bewaffnet, zu ihrem Bett, fest davon überzeugt, dass Miss Anslowe ein Ungeheuer war, entschlossen, ihr und ihrer Tochter Julians Zuneigung abspenstig zu machen. Die bevorstehende Hochzeit erfüllte sie mit Unbehagen, und wenn sie überredet werden konnte, ihr Bett und ihr Riechfläschchen zu verlassen, schlich sie mit so leidender Miene herum, dass die meisten
Leute meinten, der Earl habe seine Werbung um Miss Anslowe tatsächlich aus Rücksicht auf seine Stiefmutter geheim gehalten.
Elizabeth, die keinen Hang zur Theatralik ihrer Mutter hatte, war nicht wirklich unzufrieden
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