Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
geschickter anstellen müssen, hatte es aber nicht. Und das Messer … Nun, das war ein Unfall gewesen, den er, wenn er nicht bereits von Nells Fragen nach Catherine durcheinander und aufgewühlt gewesen wäre, hätte vermeiden können.
Nie hätte ich, sagte er sich zum bestimmt hundertsten Mal, einfach aus ihrem Zimmer gehen sollen, solange die Dinge zwischen uns nicht geklärt waren. Und je länger die Entfremdung andauerte, erkannte er bedrückt, desto unüberwindlicher würde sie werden, desto größer das Hindernis, das zwischen ihnen aufragte. Es war, dachte er, alles in allem eine dumme, aussichtslose Zwickmühle.
Julian war nicht der Einzige, der wusste, dass Fehler gemacht worden waren. Nell vermisste die angenehme Zweisamkeit, die vor jener Nacht zwischen ihnen existiert hatte, und es behagte ihr gar nicht, dass sie ebenso wie er Schuld an dem gegenwärtigen Zustand ihrer Beziehung hatte. Nicht, sagte sie sich, dass Julian sich sonderlich um ein versöhnliches Verhalten bemüht hätte. Es schien ihn nicht im Mindesten zu stören, dass sie getrennte Wege gingen. Wollte er es etwa so?
Nur halb auf das lauschend, was Dibble sagte, der ihr gerade die Geschichte eines besonderen flämischen Wandteppichs aus einem der älteren Teile des Hauses erläuterte, überlegte Nell, wie der Riss zwischen ihr und Julian gekittet werden könnte. Es war leider klar, dass das Thema seiner ersten Ehefrau für ihn schmerzhaft war, und dass er nicht in näherer Zukunft über sie zu reden beginnen würde. Und dann war da auch noch die Sache mit dem Messer … Sie erschauerte, als sie im Geiste Julian wieder vor sich stehen sah, das Messer in der Hand. Sie kannte ihn nicht wirklich gut, aber sie glaubte auch nicht, dass es normal für einen Gentleman war, ein Messer mitten in der Nacht griffbereit zu haben - und es so geschickt und erfahren zu halten. Wenn sie daran dachte, dass er in ihr Zimmer gekommen war, bereit sie zu verteidigen, fühlte sie sich warm und behütet, aber das Unbehagen, ihn ein Messer schwingen zu sehen, konnte sie nicht ganz abschütteln. Sie glaubte schon, dass er ihr die Wahrheit gesagt hatte, aber während sie es meist aus ihren Gedanken verbannen konnte, überkamen sie von Zeit zu Zeit doch wieder die Erinnerung an die blitzende Klinge in der Hand ihres Mannes und die Fragen …
Das Messer war ein Problem, obwohl sie ahnte, dass es nur ein kleineres war. Aber seine erste Ehe mit Lady Catherine Bellamy … Er war darüber jedenfalls nicht wirklich auskunftsfreudig
gewesen! Und das, entschied sie, könnte ein sehr großes Problem werden. Er hatte es rundweg abgelehnt, über diese Ehe zu sprechen - was, wie sie sich reumütig eingestand, sie nur umso neugieriger darauf machte … und besonders auf seine Gefühle für seine erste Frau.
Sie runzelte die Stirn, als sie Dibble über den langen Flur folgte. Vermutlich war das die Crux bei der Sache. Ihre Verbindung hatte nicht auf die beste Weise begonnen, und jede Chance, die sie hatten, glücklich miteinander zu werden, würde von den bleibenden Schatten seiner ersten Ehe nicht begünstigt. Wenn er seine erste Frau immer noch liebte, würde das vieles erklären, überlegte sie niedergeschlagen. Zum Beispiel die Bereitwilligkeit, mit der er sie geheiratet hatte - wenn sein Herz zusammen mit seiner Frau begraben worden war, war es egal, ob und wen er danach heiratete.
Eine Ehe mit einem Mann, den sie lieben lernen könnte, und der sie lieben könnte, war eine Sache; eine Ehe mit einem Mann, der einen Geist liebte, war etwas vollkommen anderes. Wie kann ich mit einer Toten konkurrieren? Und viel wichtiger, will ich das überhaupt? Ja, ich fürchte, vermutlich schon . Während sie die Umstände der Heirat nicht mochte, hatte sie doch vor, glücklich zu sein und auch, wenn Zuneigung nicht zu erzwingen war, wollte sie sich in ihren Ehemann verlieben. Erschreckt erkannte sie, dass sie sich nicht nur in Julian verlieben wollte, sondern auch, dass er ihre Gefühle erwiderte - und seine Liebe nicht einer Frau gehörte, die in ihrem Grab vor sich hin moderte.
Nell dankte Dibble für die Zeit, die er sich genommen hatte, und verließ das Haus, um über einen der vielen Wege zu spazieren, die sich mal in diese, mal in jene Richtung durch die weitläufigen Gärten schlängelten. Dafür, dass es fast schon November war, war das Wetter sehr freundlich. Ohne
die spät blühenden Rosen wahrzunehmen, schlenderte sie gedankenverloren und ziellos umher.
Sie kam an eine
Weitere Kostenlose Bücher