Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
einfach eines auf die Nase geben.« Er starrte nachdenklich auf seine Hände. »Hätte sie vermutlich besser niederschlagen sollen.«
Seit Julian Nell zum ersten Mal gesehen hatte, war Tynedale ganz in den Hintergrund gedrängt worden. Schuldgefühle durchbohrten ihn, als er erkannte, dass er, ganz in dem Glück seiner Ehe aufgegangen, Daniels Selbstmord und Tynedales Beteiligung an dem Ruin seines jungen Verwandten verdrängt hatte. Er hatte jedoch nicht vergessen, dass er die Macht besaß, Tynedale zu ruinieren, und wenn er an all die Schuldscheine dachte, die er in seinen Besitz gebracht hatte, ließen die Schuldgefühle nach. Daniel würde gerächt werden - das war sicher - die Frage war nur, wann. Doch Nells Entführung durch Tynedale verkomplizierte die Lage. Zwar glaubte er nicht, dass Tynedale so dumm wäre, sich der öffentlichen Verachtung auszusetzen, nur um die Ehre der neusten Countess Wyndham zu beschmutzen. Doch Tynedale war in einer Notlage, und man konnte nicht sicher sagen, was er tun würde. Wie Julian den Mann kannte, konnte er es nicht ausschließen, dass der seinen eigenen Ruin in Kauf nähme, wenn Nell dadurch zu Schaden kam, und dabei dann auch
Julian selbst. Er zweifelte nicht, dass Tynedale niederträchtig genug war, das wenigstens in Erwägung zu ziehen.
Und dann war da noch Charles... Julian seufzte. Charles mochte seinen Neffen mit Tynedale bekannt gemacht haben, aber welche Fehler Charles sonst auch hatte - und der Himmel wusste, es waren viele -, so zweifelte Julian doch nie daran, dass sein Cousin den Jungen geliebt hatte und ihm nie hatte schaden wollen. Sein Cousin war ein Wüstling, mit all den Lastern eines Wüstlings, aber Julian würde ihm nie unterstellen, Daniel Böses gewollt zu haben. Julian seufzte erneut. Charles war ein Problem, wenn auch nur, weil man nie wusste, wie er reagieren würde. Wenn Charles den wahren Grund für die Ehe wüsste, könnte es sein, dass er leidenschaftlich den Namen der Familie schützen wollte, oder dass er versuchen würde, so viel Unheil wie nur möglich zu stiften. Bei Charles konnte man nie wissen.
Julian fluchte tonlos.
»Ganz meine Meinung«, sagte Marcus. »Von Mord einmal abgesehen kann ich nicht erkennen, wie Tynedale von Stonegate entfernt werden kann. Wenn du willst, würde ich ihn nur zu gerne aus dem Weg räumen - ich dürste wegen Daniel ebenso nach Rache wie du.«
Julian runzelte die Stirn, als ihm ein weiteres Problem einfiel. Marcus wusste nichts von Tynedales Mitwirkung am Zustandekommen seiner Hochzeit mit Nell. Wie sollte er das geheim halten? Nicht, dass er fürchtete, Marcus würde sich verplappern, aber je mehr Leute von den Umständen wussten, desto wahrscheinlicher war es, dass jemandem etwas herausrutschte. Es hatte schon genug Gerede gegeben wegen der Eile der Eheschließung - um einen Riesenskandal zu entfesseln, müsste nur Tynedales Part in der ganzen Affäre bekannt werden.
»Was also wirst du tun?«, erkundigte sich Marcus. »Du bist das Familienoberhaupt, aber ich glaube kaum, dass Charles auf dich hören würde, wenn du von ihm verlangtest, Tynedale seiner Wege zu schicken.«
»Es ist sicherlich kompliziert - und das mehr, als du ahnst«, räumte Julian ein. Er musterte Marcus, während sein Cousin sich in der Nähe des Feuers aufhielt. Er würde ihm sein Leben anvertrauen, warum also vertraute er ihm nicht auch die ganze Geschichte hinter seiner Heirat mit Nell an? Weil, gestand er sich ein, es nicht nur sein Geheimnis war, sondern auch Nells.
Einer Eingebung folgend stand er auf und läutete nach Dibble. Als der Butler den Raum betrat, fragte er ihn: »Ist Ihre Ladyschaft zu Hause?«
»Ja, Mylord. Sie ist oben in ihrem Salon und beantwortet Briefe, soweit ich weiß.« Julian schaute zurück zu Marcus, der ihn mit einem leisen Stirnrunzeln beobachtete. »Warte bitte«, sagte er. »Es wird nicht lange dauern.«
Einen ratlosen Marcus in der Bibliothek zurücklassend lief Julian die Treppe empor, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Er kam an den Räumen seiner Frau an, trat in ihren Salon. Nell saß an einem Schreibtisch vor der Fensterreihe und schrieb. Als sie hörte, dass die Tür hinter ihr geöffnet wurde, drehte sie sich um und lächelte, als sie sah, dass es ihr Ehemann war, der sie störte.
»Hallo, Mylord. Sind Sie mit Ihren Geschäften fertig?«
»Nicht wirklich«, antwortete Julian. Er ging durch das Zimmer, zog sich einen Stuhl neben ihren Schreibtisch, setzte sich. Dann nahm er ihre Hand
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