Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
das Zimmer, rieb sich die Stirn. Himmel! Wenn er doch wenigstens den Konflikt in sich beenden könnte. Nells Albträume waren genug, einen Mann zum Trinken zu treiben, ganz zu schweigen davon herauszufinden, dass er sie liebte, sie jedoch den Mann lieben könnte, den er als Feind ansah.
Mit grimmiger Miene leerte er den Rest des Branntweins. Glaubte er ihr also oder nicht? Er erinnerte sich an das Glitzern ihrer Augen, die Empörung in ihrem Gesicht, und eine Welle der Reue und Scham erfasste ihn. Wie hatte er an ihr nur zweifeln können? Er war ein Narr. In dem Moment, als Tynedales Name gefallen war, hatte er sich wie ein dummer Junge benommen, der zum ersten Mal verliebt ist - und hatte
sich von Verunsicherung und Eifersucht lenken lassen. Ein sarkastisches Lächeln spielte um seinen Mund. Nun, er war zum ersten Mal verliebt, das war in gewisser Weise eine Entschuldigung. Aber es war nicht zu leugnen, dass er dem grünäugigen Monster gestattet hatte, einen Keil zwischen sie zu treiben. Und sein eigenes Temperament hatte ein Übriges dazu getan. Er atmete tief ein. Selbst wenn er nicht in Nell verliebt wäre, würde er nicht zulassen, dass ihre Beziehung sich verschlechterte. Er hatte bei der einen Ehe versagt, bei seiner zweiten würde ihm das nicht passieren. Und er würde Nell nicht kampflos an Tynedale verlieren. Sie war sein … und er liebte sie.
Ihre Albträume, ihr Band zu dem Mörder bereitete ihm große Sorgen. Wenn Johns Mörder je von dem Bindeglied erführe … wenn auch nur ein Hinweis auf Nells Verbindung entdeckt würde … Eisige Furcht, die ihm bis ins Mark drang, erfasste ihn. Bis dieses Monster, die grässliche Bestie ihrer Albträume gefasst war, befand Nell sich in schrecklicher Gefahr, ja, ihr Leben könnte auf dem Spiel stehen. Bei dem Gedanken, Nell könnte etwas zustoßen, verspürte er eine Wut, die alles überstieg, was er zuvor gekannt hatte. Unwillkürlich schlossen sich seine Finger fester um das Glas, und der dünne Stiel brach. Erst der Stich in seine Hand riss ihn aus dem bodenlosen schwarzen Abgrund, in den er geraten war, und während er auf das Blut starrte, das aus den Schnitten in seinen Fingern quoll, machte er einen Schwur: Er würde das Ungeheuer finden und töten. Zu Nells Wohl musste diese Bestie gefunden und unschädlich gemacht werden.
In der Nacht schlief Julian nicht; er hatte viel zu überlegen und verbrachte die Stunden bis zum Morgen damit, die vor ihm liegenden Probleme zu durchdenken. Er hatte keine klaren Vorstellungen, aber kurz nach Tagesanbruch läutete er
nach seinem Kammerdiener. Eine Stunde später, gebadet und bereit, den neuen Tag zu beginnen, stieg er die Treppe hinab und ging zum Frühstückszimmer. Mittels einer Nachfrage bei Dibble vergewisserte er sich, dass nach Dr. Coleman gesandt worden war.
Nach einem kurzen Frühstück aus halbrohem Roastbeef und einem Krug Ale zog Julian sich in die Bibliothek zurück, wo er wieder auf und ab lief, seine Bewegungen nicht weniger rastlos als seine durcheinanderwirbelnden Gedanken. Am allerwichtigsten war zunächst, seine Beziehung zu Nell in Ordnung zu bringen, die Spannung zwischen ihnen zu beseitigen. Er hatte sich nie für einen Feigling gehalten, aber in Herzensangelegenheiten, so fand er heraus, besaß er nicht ganz den Mumm, seine innersten Gefühle bloßzulegen - nicht, wenn Zweifel an der Zuneigung der Dame zu ihm blieben. Aber wenn er sich schon nicht erklären konnte, so konnte er wenigstens dafür sorgen, dass sie sich nicht mit gezückten Dolchen gegenüberstanden.
Und dann war da noch die Sache mit den Kerkern … eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn. Auch damit hatte Nell Recht. Seine Kerker mussten untersucht werden, ob sie wirklich diejenigen aus ihren Albträumen waren. Wenn es sich herausstellte, dass das der Fall war … ein wildes Glitzern, das seine Freunde und seine Familie noch nie an ihm gesehen hatten, trat in seine Augen. Man würde eine Falle stellen, überlegte er, ja, eine Falle, aus der es kein Entkommen gäbe, und mit dieser Bestie würde ein für alle Mal kurzer Prozess gemacht - von ihm. Nur einer von ihnen beiden würde den Kerker lebend verlassen.
Dr. Colemans Ankunft unterbrach seine Gedanken; er setzte ein höfliches Lächeln auf, begrüßte den anderen. Er erklärte ihm kurz die Situation, berichtete von Nells Sturz
am Vortag und sandte ihn dann nach oben, damit er nach Nell sah. Er lächelte trocken. Noch etwas, das sie gegen ihn aufbrachte.
Oben in
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