Skin Game 02 - Verhängnisvoller Verrat
flüsterte sie. »Ich kann sie nicht aufmachen.«
Die Frau wandte sich ab, und Gillie ging weiter. Zum Glück erinnerte sie selbst sich kaum noch an ihre Zeit in der Zelle, da sie unter Beruhigungsmitteln gestanden hatte, solange untersucht worden war, welche Grenzen ihre Gabe hatte und was erforderlich war, um sie zu nutzen. Sie wusste nicht, wie die anderen Versuchspersonen das bloß aushielten, und konnte gut nachvollziehen, warum sie nach und nach dem Wahnsinn verfielen.
Taye befand sich in der letzten Zelle. Wegen seines geschwollenen Kinns und des blauen Auges hätte sie ihn fast nicht erkannt, doch dann fiel ihr Blick auf seine Hände, die breiten Schultern und die zerzausten dunklen Haare. Sein grauer Kittelanzug wies zahlreiche Blutflecke auf, und man hatte ihm die Nase gebrochen. Das war Silas’ Werk. Er führte im Labor die Bestrafungen aus, auch wenn sie nie den Eindruck gehabt hatte, dass er sich daran erfreute.
Verdammt noch mal, Rowan, warum?
Taye hob den Kopf, als hätte er sie gespürt. Doch es brauchte einen Augenblick, bis er es schaffte, seinen Blick zu fokussieren. Gillie wusste aus dem Fernsehen, dass dies ein Symptom für eine Gehirnerschütterung war. Wenn ich nur den Türcode wüsste … Als hätte Taye ihre Gedanken gelesen, streckte er ihr die Hand entgegen, und aus seinen Fingerspitzen sowie aus dem Tastenfeld des Schlosses sprühten blaue Funken. Schließlich sprang die Tür auf. Doch er war zu schwach, um aufzustehen.
Er versuchte es und fiel sofort wieder hin.
Das erklärte, warum er sie nicht besucht hatte. Ungeachtet der Kameras eilte sie in seine Zelle und kniete sich neben ihn. »Ich muss dich hier rausbringen. Er wird dich noch umbringen.«
»Wird er nicht.« Aufgrund seiner angeschwollenen Lippen konnte er nur nuscheln. »Er will mich nach China verkaufen.«
»Was? Woher weißt du das?«
»Hab ihn belauscht.«
»Und deshalb lässt er dich zusammenschlagen?«
»Er vermutet, dass ich dich länger als eine Stunde am Tag sehe. Hatte aber keine Beweise.« Er blickte sie vielsagend an. »Jetzt schon.«
Sie half ihm, sich aufzusetzen, unsicher, wo sie ihn anfassen konnte, ohne ihm wehzutun. Er war ihretwegen misshandelt worden, wegen der Besessenheit eines Irren.
»Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«
»Geh! Ich werde versuchen, die Aufnahme zu löschen, bevor dich noch jemand sieht.«
»Aber du kannst dich vor Schmerzen kaum konzentrieren«, entgegnete sie.
»Ja. Geh jetzt bitte.«
Die eigene Hilflosigkeit machte sie wütend. Ihr ganzes Leben lang hatte sie nur Befehle befolgt. Sie war es leid, sich aus Angst vor möglichen Konsequenzen unterzuordnen. Rowan benutzte die unausgesprochene Drohung, sie wieder in eine Zelle zu stecken, gegen sie, um ihre Kooperation zu erzwingen; und jetzt, da sie sich endlich einmal traute, nicht zu gehorchen, versuchte auch Taye, sie wieder in ihr Gefängnis zurückzuschicken.
»Noch nicht. Wie gut beherrschst du deine Gabe inzwischen?«
»Gut.« In seinen grünen Augen blitzten Ärger und Frustration auf. »Könnte auch einen anderen Grund haben, warum er mich hat schlagen lassen. Ich war fast so weit.«
»Dann brauchst du also nur ein paar Tage zum Abheilen. Versuch, ihn nicht wütend zu machen.« Gillie hob beschwichtigend die Hand, da sie wusste, dass er protestieren wollte. »Ich weiß, wie gern du ihn provozierst. Aber denk bitte daran, dass ich ohne dich hier nicht rauskomme. Ich brauche dich, Taye.«
»Ich werde brav sein«, knurrte er.
Mehr konnte sie nicht für ihn tun, aber sie wusste, wer sonst, und eilte aus der Zelle, deren Tür sich hinter ihr schloss. Um diese Uhrzeit saß Silas meist in dem kleinen Aufenthaltsraum der Angestellten und aß zu Mittag. Wie vermutet löffelte er Suppe in sich hinein und sah dabei fern. Er war nicht dumm, nur … wahnsinnig schweigsam.
»Silas«, flüsterte sie leise.
Er drehte sich um und musterte sie, ohne eine Miene zu verziehen. »Du hast hier nichts verloren.«
»Du eigentlich auch nicht. Magst du deinen Job?«
Der große Mann atmete zischend aus und klang dabei wie ein defekter Fahrradschlauch, während er seine prankenartigen Hände betrachtete, als sähe er sie gerade zum ersten Mal. »Nein.«
»Du hast Taye geschlagen.«
»Ich weiß. Rowan hat mich dazu gezwungen.«
»Wie?«
Statt zu antworten, drehte Silas den Kopf und zeigte auf ein schwach pulsierendes blaues Licht hinter seinem Ohr. Großer Gott, damit wurde er also gefügig gemacht. Silas war gar kein
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