Skinwalker 01. Feindesland
heute gelesen. »Priesterin dieser geweihten Erde. Du darfst deinen Einspruch begründen .«
Geziert zupfte er an seiner Manschette. Ein Stück Spitze schimmerte seiden in der Nacht. »Es ist nicht erforderlich, dass jemand von uns Blut spendet. Die Verletzte war entweder dumm oder schwach. Sie hat einem Angreifer ihren Hals dargeboten. Beute muss es erlaubt sein, zu sterben. So war es immer Sitte bei uns .«
Aus der Menge erhob sich ein Rascheln. Zustimmendes Murmeln erklang. »Ich trete für die Gefallene ein « , sagte eine Stimme. Leo schritt durch die Menge heran, ebenso anmutig – wer unter ihnen war das nicht? – , aber mit der Anmut eines Stierkämpfers, stark und entschlossen. Ich fächelte mit meinen langen Federn in der stillen Luft, um den letzten Rest des Banns abzuschütteln.
»Leonard Eugène Zacharie Pellissier « , sagte er. Ich ging davon aus, dass alle wussten, wer wer war, folglich nannten sie ihre Namen wohl als reine Formalität, wie bei einem Gerichtsprozess, wo sämtliche Namen und Titel gefragt sind. »Blutmeister der Stadt, Blutmeister des Pellissier-Clans seit siebenhundert Jahren .« Soweit ich wusste, waren siebenhundert Jahre alte Vamps selten, und die Priesterin musste noch älter sein. Sehr viel älter. Ihren Stammbaum hatte ich im Archiv nicht gesehen.
Vor Sabina, der Priesterin, blieb er stehen. »Was früher einmal Sitte war, muss heute keine Gültigkeit mehr haben. Seit die Menschen uns entdeckt haben und wir uns nicht mehr verbergen können, sind die alten Sitten überholt. Heute gelten neue Regeln. Heute können wir unsere Blutfamilien nicht mehr auf dieselbe Art führen wie früher – nicht, wenn wir in der Welt der Menschen überleben wollen. Und wir sind heute nicht mehr so zahlreich, dass wir es uns erlauben könnten, eine unserer Ältesten sterben zu lassen. Die Welt hat sich weiterentwickelt, und die Mithraner müssen es auch, wenn sie überleben wollen .«
»Schöne Worte. Aber mein Clan hat den Verlust seines Oberhauptes zu beklagen. Als Ältester ist mein Blut wertvoll für meine Familie « , sagte Rafael, »und es festigt meine Autorität. Warum soll ich mein Blut hergeben, um eine Vasallin meines Feindes zu retten? Warum sollte ich dir helfen ?« Die Luft knisterte vor Feindseligkeit. Halb erwartete ich, dass Rafael seine Fangzähne zeigte, ein Schwert zog und angriff.
»Wir müssen zusammenstehen, wenn wir den Rogue besiegen wollen « , sagte Leo. »Wir mögen Feinde sein, Rafael, aber der Feind meines Feindes ist mein Freund. Wir halten zusammen gegen die Menschen, die nach unserer Vernichtung trachten. Das ist seit jeher so Sitte und ist es bis heute .« Leise fügte er hinzu: »Wenn du von dem Rogue angegriffen worden wärst, würde ich mein Blut für dich geben .« Die Menge atmete überrascht aus.
»Und wenn wir ihr nicht helfen « , sagte Sabina, »ist es möglich, dass Katherine Louisa Dupre, die noch nicht endgültig tot ist, aus eigener Kraft erwacht und als Rogue wieder aufersteht. Und dann andere von uns ansteckt, so wie es die Überlieferung sagt .« Die Versammlung der Vamps schwankte hin und her, fast als wollten sie einen langsamen, komplizierten Tanz vollführen. Ihre Haltung kündete von Unschlüssigkeit.
»Dass ein Rogue einen anderen Mithraner anstecken kann, ist ein Altweibermärchen, an das nur Narren glauben « , sagte Rafael verächtlich. »Schon bevor ich gewandelt wurde, war es nichts als ein Mythos .« Er wandte sich einer Frau in einem Abendkleid aus schwarzer Seide zu. Sie sah weg. Ich legte den Kopf schief und gab ein überraschtes Gurren von mir. Dominique . Ich erinnerte mich an ihren Namen.
Sabina sagte: »Auch ich war ein Mythos, bevor du gewandelt wurdest, Rafael. Ich habe gesehen, wie Mythen Wirklichkeit werden. Und in dieser Zeit, da Licht auf unsere dunkle, befleckte Vergangenheit fällt, macht ein alter Rogue die Straßen der Stadt unsicher, der durch die Sünde in den Wahnsinn getrieben wurde .« Die Worte wurden begleitet von einem leisen Atemhauch.
»Befleckt « , sagte einer der Versammelten.
»Sünde « , sagte ein anderer.
Ich wusste nicht recht, was ihnen die Worte bedeuteten, aber ihr Ton war schwer und traurig wie das Rufen einsamer Vögel in der Nacht. Ich gurrte erneut, und die Priesterin spähte scharf zu mir herüber. Ich verstummte und packte den Ast mit den Krallen, um ganz still zu sitzen.
Sabina wandte sich wieder den Vamps zu sagte: »So wie andere Rassen auch, die zu anderen Zeiten und an anderen
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