Skinwalker 01. Feindesland
, sagte er. »Sie werden jemanden schicken, der nach dem Rechten sieht .«
Ich spähte hinein. »Gut. Dann können sie hier mal aufräumen .«
Fünf der sechs Särge waren zertrümmert. Sie hatten in Steinnischen in der Wand gelegen, je drei übereinander, die mit kleinen Marmortüren verschlossen gewesen waren. Diese Marmortüren hatte jemand aufgebrochen, die Särge herausgezogen und gegen die hintere Wand geworfen, wenn ich die Schrammen daran richtig deutete. Der Inhalt der Särge war überall verstreut. Vampire zerfallen nämlich, wenn sie sterben, keineswegs zu Asche, wie es immer wieder in der Schundliteratur zu lesen ist, es sei denn, sie werden verbrannt. Der Boden in der Gruft war übersät mit Knochen, Fetzen eines alten Kleides, Stiefeln, ein paar grinsenden Totenköpfen – einer noch mit schwarzem Haar – , ein paar Goldmünzen, glitzerndem Schmuck und verrotteter Sargpolsterung.
Ich deutete ins Innere der Krypta. Rick lehnte sich um die Tür herum und warf einen Blick hinein. »Heilige Scheiße. Wer – Scheiße! Wer macht denn so was? Was ist das für ein Geruch ?« Hastig wich er zurück, die Hand über Nase und Mund.
Ich hatte mich bereits gegen den Wind gestellt. »Das kommt teils von den Toten und teils von dem Rogue. Ich glaube, er hat sich gestern den Tag über hier versteckt .« Ich rechnete nach, wie weit es vom Waldrand bis hierhin war. Es war weiter, als es aus der Luft schien. »Ich vermute, er wusste, dass die Vamps planten, Katie zu begraben. Er hoffte wohl, an das Blut in ihrem Sarg zu kommen .«
»Das Blut in ihrem Sarg ?«
Ich betrachtete nachdenklich seine Miene. Offenbar war ich nicht die Einzige, die nicht wusste, was eine Blutzeremonie war. Ich fragte mich, ob es überhaupt ein Mensch wusste. Vermutlich war es klüger, wenn ich so tat, als wüsste ich von nichts, und ihm nicht anvertraute, was ich letzte Nacht erfahren hatte. »Katies Blut « , log ich. »Er hatte sie ja nicht vollständig ausgesaugt .« Was ja die Wahrheit war.
»Ach, ja ?«
Ich war eine schlechte Lügnerin. Daran musste ich noch arbeiten. Um weiteren Fragen auszuweichen, wanderte ich weiter zur Kapelle. Auf dem Weg kam ich an der zweiten Gruft vorbei, von der der Rogue Masse gestohlen hatte. Es war die Krypta des Mearkanis-Clans, und sie war noch stärker beschädigt: Hier fehlten fast zwei Quadratmeter Stein.
Dann erreichte ich die Kapelle. Auf der Schwelle lag immer noch das Kreuz, aber es leuchtete oder brannte nicht mehr. Ich beugte mich darüber und nahm meine Sonnenbrille ab, um genau hinzuschauen. Das Holz war unversehrt. Offenbar hatten die Flammen, die ich gesehen hatte, es nicht versengt, und es roch auch nicht verbrannt. Es war nicht aus einem Stück geschnitzt, sondern bestand aus zwei Teilen, die aussahen, als hätte jemand große Späne aus einem Balken gelöst.
Das Kreuz sah alt aus. Zeit und Gebrauch hatten das Holz geschwärzt. Die vier Enden waren abgerundet, wie mit Sandpapier abgeschmirgelt und anschließend geölt. Oder wie von menschlichen Händen, die es über viele Jahre liebkost hatten. Die beiden Teile waren mit Draht verbunden, der stark oxidiert war, der Grünspan hatte sich bereits ins Holz gefressen. Alt , dachte ich. Alt, alt, alt.
Rick kam heran und bückte sich, um das Kreuz aufzuheben. Ich reagierte, ohne nachzudenken, packte ihn am Jeansbund und riss mit aller Kraft. Er flog an mir vorbei. Als er landete, wich die Luft mit einem leisen Uff aus seiner Lunge. Ich verstellte ihm den Weg und wartete, bis er wieder zu Atem kam. Er stöhnte und fluchte. »Warum zur Hölle haben Sie das getan ?« , ächzte er. »Was hab ich denn jetzt wieder angestellt ?«
»Sie wollten das Kreuz anfassen « , sagte ich. »Es gehört einem Vamp. Sie hätte Ihren Geruch daran gewittert. Das wäre nicht sehr klug .«
»Vamps haben doch keine Kreuze .« Er stemmte sich auf die Ellbogen hoch und setzte sich halb auf, die Beine gespreizt. Mit den Absätzen grub er kleine Mulden in den Muschelsplitt. »Außerdem hätte ein einfaches ›Hey, lassen Sie das liegen‹ auch genügt. Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie dazu neigen, überzureagieren ?«
»Ja, schon viele. Ein paar davon sind tot « , sagte ich und grinste. »Und ich lebe noch .«
Rick schnaufte empört und rollte sich auf die Knie. »Was drücken Sie eigentlich? Sie haben Arme wie ein Gorilla .« Er stand auf und sah mich an.
Drücken. Wie in ›Gewichte drücken‹. Seine Miene gefiel mir nicht. Diesen Blick bekam ich
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