Sklaven der Begierde
braunen Augen, der Kleine, den sie geneckt und gequält hatte. Zum Teufel, sie hatte ihn sogar so lange mit „Wahre-Liebe-wartet“-Sprüchen verspottet, bis er sie schließlich auf Knien angefleht hatte, das doch bitte zu lassen.
Als sie ihn jetzt neben sich sah, konnte sie nicht umhin, an die vielen Nächte zu denken, in denen sie in der offenen Tür seines Schlafzimmers gestanden hatte und seinen ruhigen, langsamen Atemzügen gelauscht hatte. Sie wusste selbst nicht so genau, warum es ihr so guttat, ihn im Schlaf atmen zu hören, aber sie konnte einfach nicht genug davon bekommen. Nachdem sie Søren verlassen hatte, schlief sie fast immer allein. Nicht dass sie keinen Sex hatte, aber sie ging hin, nahm sich, was sie wollte, und verschwand wieder. Es gefiel ihr, morgens um elf allein zu frühstücken. Und nun hatte sie plötzlich dieses Kind im Haus, das immer um halb acht aufstand, sogar am verfluchten Wochenende. Und er machte Frühstück für sie. Und organisierte ihre Finanzen. Stellte sicher, dass sie ihre Rechnungen pünktlich bezahlte. Und im Sommer hatte er sogar einmal in der Woche den Rasen gemäht.
Das Zusammenleben mit Wesley hatte die schrecklichsten Gedankengänge in ihr ausgelöst. Einmal hatte sie abends auf seiner Bettkante gesessen und ihm das erste Kapitel ihres neuen Romans vorgelesen. Als sie dann später in ihrem eigenen Bett lag, fragte sie sich, ob es ihr wohl auch so viel Spaß machen würde, Mutter zu sein. Und ihrem eigenen Sohn Bücher von Dr. Seuss oder Lewis Carroll vorzulesen. Eine Woche später reinigte Wesley ein verstopftes Rohr – im Abflussknick hatten sich wieder mal zu viele ihrer verdammten Haare angesammelt. Während sie zusah, wie er sich unter dem Waschbecken zu schaffen machte, dachte sie, dass es vielleicht doch gar nicht so ein seelenvernichtender Albtraum wäre, wie sie immer gedacht hatte, mit einem halbwegs normalen Typen verheiratet zu sein. Und wenn sie wieder mal so lange am Schreibtisch gesessen und geschrieben hatte, dass jeder Zentimeter ihres Körpers schmerzte, als sei sie auf gänzlich unerotische Weise verprügelt worden, und Wesley sie dann vom Stuhl zerrte, in ihr Zimmer führte, sie aufs Bett legte und ihren Rücken mit seinen großen starken Händen so lange massierte, bis die Schmerzen verschwanden … dann war sie geneigt zu glauben, dass es nicht nur okay wäre, mit einem halbwegs normalen Mann verheiratet zu sein, sondern dass es ihr sogar ein bisschen gefallen könnte.
Vielleicht sogar mehr als ein bisschen.
Nora streckte die Hand aus und berührte Wesleys dunkelblondes Haar. Vielleicht würde sie sich ja daran gewöhnen, dass er es jetzt so lang trug. Vielleicht. Solange es seine Augen nicht verdeckte. Wesley bewegte sich im Schlaf und rutschte näher an sie heran. Er fand schnell eine neue bequeme Position, grunzte leise und vergrub sein Gesicht im Kissen. Nora lächelte. Ganz langsam, um ihn nicht zu stören, hob sie kurz die Decke und spähte darunter. Nackt. Sie waren beide komplett nackt und lagen zusammen in Wesleys Bett. Nachdem sie sich auf dem Steg geliebt und anschließend ihre Kleider gerichtet hatten, waren sie zum Gästehaus zurückgegangen. Nora hatte angenommen, dass Wesley gleich schlafen gehen wollte, aber Schlaf war das Letzte gewesen, was er im Sinn hatte. Sobald sie im Haus waren, rissen sie sich wieder die Kleider vom Leib. Sie hatten zweimal Sex, bevor sie überhaupt das Bett erreichten, einmal gleich hinter der Tür im Eingangsbereich und einmal im Flur, nur ein paar Meter vom Schlafzimmer entfernt. Beide Male war Nora auf dem Rücken gelandet, mit weit gespreizten Beinen und Wesley auf ihr und in ihr.
Es war eine seltsame Erfahrung – sie hatte sonst niemals auf diese Weise Sex, in der stinknormalen Missionarsstellung. Keine Schmerzen, keine Fesseln, nichts als zwei Körper, die miteinander verschmolzen. Nie hätte sie gedacht, dass sie so schlichten Sex genießen könnte. Wesley hatte zwar bislang immer auf ihr gelegen, aber er hatte sie ganz bestimmt nicht beherrscht. Jedes Mal wenn er in sie eindrang, fragte er, ob es so gut für sie war oder ob er was anderes für sie tun sollte, damit sie sich besser fühlte. Sie flüsterte ihm Anweisungen ins Ohr und Worte der Ermutigung.
So etwas hatte sie mit Søren nie gemacht. Sex mit Søren war eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen Nora den Mund hielt. Er brauchte keine Anweisungen und keine Ermutigung. Hätte sie eines von beiden bei ihm versucht, hätte er sie
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