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Skorpione im eigenen Saft

Skorpione im eigenen Saft

Titel: Skorpione im eigenen Saft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juan Bas
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beigefarbenen Sommermäntelchen.
    Ich stecke den Kopf durch das Seitenfenster und rufe den beiden Psychopathen etwas zu, doch sie sehen und hören nichts.
    Das Angstgefühl ist nicht nur verschwunden, sondern hat sogar einem ausgeprägten Wohlgefühl Platz gemacht.
    Schon seltsam.
    Irgendwie merkwürdig.
    Die Avenida de la Autonomía ist mir noch nie so lang vorgekommen.
    Doch kehren wir zu meinen Erinnerungen zurück.
    Ich unterbrach die Lektüre in der Weltkarte, um einen Augenblick diese wirklich sonderbare Lebensgeschichte zu überdenken.
    Ich konnte nicht glauben, dass der Mann, den ich kannte oder zu kennen glaubte und mit dem ich den Rolls Royce unter den Tapas-Bars eröffnet hatte, der die Verkörperung von Captain Haddock und mein Freund war, dieselbe Person sein sollte, der diese schier unbegreiflichen Dinge widerfahren waren und die dabei selbst eine so finstere Rolle gespielt hatte.

13
     
    Ich weiß nicht, wo ich erwachte und wie viel Zeit vergangen war.
    Ich benutze das Wort erwachen aus reiner Gewohnheit. In Wirklichkeit war das Einzige, was erwachte, mein Geist, die Fähigkeit, zu denken. Um mich herum herrschte völlige Dunkelheit oder Leere, wie man es auch nennen will, und ich hatte kein Empfinden für meinen Körper, ich wusste nicht einmal, dass ich noch einen hatte.
    Lediglich zwei Sinne funktionierten und verbanden mich passiv mit der Außenwelt: der Hörsinn und der Geruchssinn.
    So erfuhr ich, dass ich mich in einem Krankenhauszimmer befand und im Koma lag; das war jedenfalls die Diagnose eines Arztes mit versoffener Stimme, der mit meiner Mutter sprach.
    Er war nicht gerade der Inbegriff von Diplomatie.
    »Wissen Sie, er kann jeden Moment erwachen, oder in einer Woche, oder in einem Jahr …, oder nie wieder. Mit anderen Worten, das Gift hatte eine ungewöhnliche Wirkung auf seinen Organismus, und die Folgen sind unabsehbar … Und wenn er erwacht, kann es sein, dass er nicht mehr weiß, wer er ist, oder er hat sich in eine ganz andere Persönlichkeit verwandelt … In einigen Fällen von lang anhaltendem Koma haben die Patienten alles vergessen, sogar das Sprechen oder wie man sich anzieht … Oder im Gegenteil: Sie können auf einmal Aramäisch … Soll ich Ihnen die Wahrheit sagen? Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen, aber wir haben einfach nicht die geringste Ahnung, wie das Gehirn funktioniert.«
    Das Schluchzen meiner Mutter traf mich fast genauso wie die Perspektive, die dieser Unmensch entwarf.
    Ich verlor das Zeitgefühl.
    Zum ersten Mal in meinem Leben vermisste ich meinen Vater. Seit ich nicht mehr bewusstlos war, hatte ich kein einziges Mal seine Stimme vernommen. Das war seltsam.
    Ein Gespräch zwischen meiner Mutter und einer der wenigen umgänglichen Nachbarinnen in Alzo, die gekommen war, um mich zu besuchen, verschaffte mir Klarheit.
    Mein Vater war am sechzehnten August gestorben, am selben Tag also, an dem ich ins Koma gefallen war.
    Die vergifteten Tintenfische, die Franco verschmäht hatte, hatte er in der Küche aufgegessen.
    Die Leibgarde des Diktators zog die nahe liegenden Schlüsse daraus und verhaftete die Wirtsleute und das gesamte Personal des Aranzadi-Hofs.
    Jahre später erfuhr ich, dass die Frau, die Franco Amparo genannt hatte, noch immer im Gefängnis saß und dass man ihren Mann hingerichtet hatte. Noch mehr Opfer dieser gescheiterten Farce, die natürlich weiterhin geheim gehalten wurde.
    Mit einem bitteren Lächeln im Geiste erinnerte ich mich an das Brimborium, das mein Onkel veranstaltet hatte, als er so tat, als würde er das Gift und dann das Gegengift einnehmen, und das Ganze dann mit mir wiederholte.
    Das Gegengift, das es offensichtlich gar nicht gab.
    Es war klar, dass er von Anfang an vorgehabt hatte, mich zu opfern.
    Der Verlust war zu verschmerzen; der Zweck heiligte die Vernichtung des Mittels.
    Als mir das klar geworden war, erwachte mein tödlicher Hass auf Patxi Iramendi, und bis auf eine Unterbrechung von fünf Jahren nährte ich ihn über ein Vierteliahrhundert.
    Ich glaube, dass durch den Hass, den ich auch bald für die anderen fünf Verschwörer empfand, der Wunsch, zu sterben, um mich aus dieser grauenhaften Vorhölle zu befreien, verdrängt wurde von dem Wunsch, eines Tages in die Welt zurückzukehren, um mich an ihnen zu rächen.
    Mein Geisteszustand war normal; ich konnte klar denken (so dachte ich jedenfalls). Ich sollte nicht als Außerirdischer oder Gemüse erwachen, wie dieser Vollidiot von Arzt behauptet hatte,

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