Slow Travel: Die Kunst Des Reisens
einem französischen Staatsministerium donnerten. Inzwischen hatte der flüchtige Schakal die Polizei abgehängt, indem er von der Schweiz nach Italien und wieder zurück nach Frankreich gefahren war, gerade rechtzeitig für das Finale in Paris.
Ich werde Ihnen nicht alles verderben, indem ich verrate, was als Nächstes geschieht, aber dass ich tatsächlich dort war, wo die letzten Kapitel spielen, und die fieberhafte Spannung der Geschichte an diesem sonnigen Freitagnachmittag in mich aufsog, machte dieses Leseerlebnis ungemein berauschend. Durch Forsyths Worte verbanden sich meine Fantasie und die Wirklichkeit auf eine Weise miteinander, wie es kein herkömmlicher Reiseführer jemals möglich gemacht hätte. Dennoch war es wie eine Führung durch Paris, die ich niemals vergessen werde.
Seit diesem Erlebnis habe ich das Prinzip an einigen anderen Orten ausprobiert und ebenso überzeugende Resultate erzielt. Agatha Christie schrieb einen Hercule-Poirot-Krimimit dem Titel Das Böse unter der Sonne , während sie sich im Burgh Island Hotel vor der Küste von South Devon in der Nähe von Bigbury-on-Sea aufhielt. Das Hotel ist ein großartiger Art-déco-Bau, der von seinen heutigen Besitzern Deborah Clark und Tony Orchard liebevoll restauriert wurde. Die Insel ist dem Wechsel der Gezeiten ausgesetzt, so dass man zweimal am Tag vom Festland abgeschnitten ist, und außer dem Hotel gibt es nur einige wenige Privathäuser sowie einen kleinen Pub namens »The Pilchard Inn«. Es gibt keinen Handyempfang, und es ist schwierig, einen Fernseher aufzutreiben. Das Böse unter der Sonne spielt im Hotel und in seiner Umgebung, und weil die Möblierung und das Dekor jener Epoche entsprechen (und viele der Gäste die Gelegenheit wahrnehmen, sich nach der damaligen Mode zu kleiden), hatte ich zwei Tage lang wiederum das Gefühl, dass die Grenzen zwischen Fantasie und Realität verschwammen. Und wieder erwies sich Agatha Christie als sehr viel bessere Reiseführer-Autorin als die Person, die die eher langatmige Geschichte der Insel verfasst hat.
Wenn es um nächtliche Zugfahrten durch Europa geht, gibt es einen Autor, auf den ich immer wieder zurückgreife, nämlich John le Carré. In der Begleitung von George Smiley durch Osteuropa zu reisen ist eine ziemlich düstere Angelegenheit, aber es ist viel amüsanter, als seine Abenteuer zu Hause auf dem Sofa zu lesen. Eine Nacht in einem Zug, der auf dem Weg nach Deutschland oder durch die Alpen nach Italien ist, kann die eigene Wahrnehmung beträchtlich verschieben. Wer es moderner mag, kann es mit Robert Ludlums Jason-Bourne-Reihe versuchen: Bourne ist so etwas wie ein Superheld des langsamen Reisens, denn er benutzt nur selten ein Flugzeug.
Manche werden sagen, dass diese Art des Lesens einem die Freude an Büchern verderben kann, die uns mit Hilfeunserer Vorstellungskraft in die Vergangenheit, in die ganze Welt oder sogar aus ihr hinaustragen. Aber ich beschreibe nur eine Methode, um das Leseerlebnis zu steigern, das immer im eigenen Kopf stattfindet, wo man sich auch gerade befinden mag.
Solche alternativen Reiseführer müssen nicht immer fiktional sein. Eines der schönsten Reiseerlebnisse, das ich jemals hatte, war eine zehntägige Zugfahrt nach Wien, Budapest und Prag, die durch die drei Bücher, die ich mitgenommen hatte, unvergesslich wurde.
Es war Ende Februar, und dichter Nebel hing über dem Zug von Brüssel nach Köln, wo meine Frau Rachel, der damals dreijährige Wilf und ich gerade genug Zeit für ein Abendessen und einen kurzen Besuch in einem LEGO-Geschäft hatten, bevor wir in den Schlafwagen der Deutschen Bahn Richtung Wien umsteigen mussten. Wir trudelten durch überdimensionierte Bahnhofshallen, riesige Betonlandschaften, die von einer historischen Bedeutung zeugten, die mittlerweile deplatziert wirkte. Mein gesamtes Wissen über Belgien, Deutschland, Österreich, Ungarn und Tschechien war mir in der Schule eingetrichtert worden, wo die Weltkriege und das Aufkommen des Kommunismus oberflächlich abgehandelt wurden, und ich war gespannt darauf, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Wir überquerten den Rhein und fuhren durch die Kölner Vororte, die Sonne war in einen weißen Schleier gehüllt und konnte kaum das endlose Grau durchdringen. Eben noch konnte ich einen rosa Elefanten auf dem Schild über einer Bar erkennen, dann eilten wir durch Reihen von dreistöckigen Backsteinhäusern, zwischen denen Kirchtürme und regennasse Fußballfelder auftauchten,
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