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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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Wörterbuch der Sevo, das schlüssig beweisen wird, wie viel authentischer unsere Sprache ist, im Vergleich zum Svanïschen, diesem verballhornten Persisch.«
    Parka Gylle öffnete den Mund und gab den Blick auf zwei Reihen billig gemachter Silberzähne frei. Jetzt fiel mir wieder ein, wo ich ihn schon einmal gesehen hatte: neben Herrn Nanabragov auf der sevischen Werbetafel auf der Mole. Im wirklichen Leben wirkte er noch müder und noch depressiver. »Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte er in einem langsamen, schwerfälligen Russisch, das seinen starken Kaukasusakzent nicht verbergen konnte.
    »
Leise erhebt sich der Leopard
«, sagte ich, »das kommt mir bekannt vor. Ist das kürzlich in St. Petersburg gespielt worden?«
    »Vielleicht«, sagte Parka Gylle, während er bedauernd von seinem Hühnerbein abließ. »Aber es ist nicht sehr gut. Verglichen mit einem Shakespeare oder einem Beckett sieht man gleich, was für ein kleines Licht ich bin.«
    »Unsinn, Unsinn!«, tönte es aus der Runde.
    »Sie sind sehr bescheiden«, sagte ich dem Dramatiker.
    Er winkte lächelnd ab. »Man muss etwas für sein Land tun«, sagte er. »Aber bald werde ich sterben, und mein Werk wird der Vergessenheit anheim fallen. Je nun. Das Ende wird eine Erlösung sein. Hoffentlich falle ich bald tot um. Vielleicht darf ich diese Süße morgen schon schmecken. Was hatten Sie gerade gefragt?«
    »Trotl«, erinnerte Herr Nanabragov ihn.
    »Oh ja. Ihren Freund Trotl kannte ich wohl. Gemeinsam waren wir im Widerstand gegen die Sowjets. In der letzten Zeit hatten wir Meinungsverschiedenheiten –«
    »Aber ihr seid ganz dicke Freunde geblieben«, unterbrach Herr Nanabragov.
    »In der letzten Zeit hatten wir Meinungsverschiedenheiten«, fasste Parka Gylle zusammen, »aber als ich seine Leiche im Fernsehen sah, wie sie da im Dreck lag, musste ich die Augen schließen. Das Licht strahlte so hell an diesem Tag. Diese höllischen Sommermonate. Manchmal, nachmittags, wenn das Licht so hell strahlt – wie soll ich sagen –, nimmt die Sonne selbst einen falschen Schein an. Und so zog ich die Gardinen zu und verlor mich in Erinnerungen an bessere Tage.«
    »Und er verfluchte die svanïschen Ungeheuer, die seinen besten Freund Trotl ermordet hatten«, soufflierte Herr Nanabragov dem Dramatiker.
    Parka Gylle seufzte. Sehnsüchtig blickte er auf sein vernachlässigtes Hühnerbein. »Ganz genau«, murmelte er, »ich verfluchte …« Mit leeren Augen sah er zu mir auf. »Ich verfluchte …«
    »… die svanïschen Ungeheuer«, sagte Herr Nanabragov ungeduldig zuckend.
    »Ich verfluchte die Ungeheuer …«
    »… die deinen besten Freund ermordet hatten.«
    »… die meinen besten Freund Trotl ermordet hatten. Genau.«
    Und so nahm sich der alte Dramatiker wieder sein Hühnerbein vor und nagte es sorgfältig weiter ab. Wie gern wollte ich ihm beistehen und mit ihm dem ganzen Geschlecht der Sevo. Gott möge mir verzeihen, aber ich fand ihr Feudalgehabe niedlich. Man konnte ihnen ihre Ignoranz nicht zum Vorwurf machen, einem kleinen, leicht zu beeindruckenden Volk, umgeben von intellektuell wenig anspruchsvollen Nationen. Sie waren jung und verbildet wie aufgeplusterte Backfische, die mit kokettem Tänzeln um die Zuneigung von Erwachsenen kämpfen und dabei auch mal eine schlanke Fessel aufblitzen lassen. Zum Teufel mit meiner Petersburger Wohltätigkeitseinrichtung. Dies waren Mischas Kinder. Ich schwor ihrer sonnigen, vorpubertären Sache Lehnstreue, ihrem Traum von Freiheit und unmöglichem Glück. »Die Welt weiß, was ihr leidet«, sagte ich, »und bald werdet ihr euer eigenes Wörterbuch und eure eigene Pipeline haben.«
    »Ach wäre das schön.« Die Männer begannen zu seufzen und unfroh in ihre leeren Weinhörner zu blasen.
    »Gestern hat sich eine Tragödie abgespielt«, sagte Herr Nanabragov. »Eine Tragödie, die alles verändern wird.«
    »Das ist das Ende, das Ende«, stimmten seine Landsleute ein.
    »Beim G8-Gipfel in Genua«, sagte Herr Nanabragov, »hat die italienische Polizei einen Anti-Globalisierungs-Demonstranten erschossen.«
    »Wie traurig«, stimmte ich zu. »Wenn man einem schönen Mediterraner das Leben nehmen kann, was haben wir dann noch für eine Chance?«
    »Als der Kampf der Sevo um Demokratie eben ein paar
Marktanteile
in den Weltnachrichten gewonnen hatte«, sagte Herr Nanabragov, »da kamen die
Quotenkiller
aus Italien.«
    »Ein einziger toter Italiener!«, jammerte Bubi und zerrte an seinem T-Shirt, als wollte

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