Snapshot
gut«, meinte Winter. » Dann mach ich, was ich machen muss, und lass dich allein. Allein mit den hübschen Schwestern. Sind schon ein paar heiße Teile dabei, was?«
Dafür schenkte ihm Schwester Karen ein schüchternes Lächeln, doch der Junge schnitt bloß eine Grimasse, was wohl nicht auf mangelndes Interesse an den weiblichen Angestellten der Royal, sondern eher auf seine kreischende Kniescheibe zurückzuführen war. Kein Problem, Kleiner. Ich bleib bei meinen Leisten, du bleibst bei deiner Lügengeschichte. Mal schauen, wie weit wir damit kommen.
Rorys Bild würde es kaum in Winters Sammlung schaffen. Zu gewöhnlich. Außerdem stimmte da irgendwas nicht– der verängstigte Gesichtsausdruck wollte nicht so recht passen. Winter hatte schon einige vergleichbare Fälle gesehen, und für gewöhnlich sprühten die Jungs nur so vor Wut und Rachsucht. Er hatte eher mit dem klassischen Rebellentyp gerechnet, dessen Miene sagte: » Nachher hol ich meine Kumpels und dann brechen wir denen die Beine.« Aber nicht mit so einem jämmerlichen, verschüchterten Mäuschen.
Winter knipste das Knie aus jedem Winkel, stellte auf die Knochen scharf, die sich durch die aufgeschürfte Haut bohren wollten, rückte die Schwellungen und Deformationen in den Mittelpunkt.
Danach zog er seine Fuji IS Pro aus der Tasche, eine spezielle Kamera für den UV - und Infrarotbereich, mit der man Prellungen einfangen konnte, die dem menschlichen Auge verborgen blieben. Das zermanschte Knie war auch so mehr als deutlich zu erkennen, aber wer weiß, was Rory sonst noch zu bieten hatte. Winter fotografierte sein Gesicht und seine Brust. Volltreffer. Auf der rechten Seite der Brust entdeckte er eine Quetschung, die ohne Filter nicht zu sehen gewesen wäre.
Damit war die Sache erledigt. Länger konnte Winter seine Rückkehr ins Labor beim besten Willen nicht hinauszögern.
» Okay, Rory, pass auf dich auf«, sagte er. » Und nicht den Schwestern hinterherlaufen, klar? Die sollen dir hinterherlaufen.«
Der Junge starrte ihn an. » Fick dich ins Knie.«
Irgendwie hatte Winter das Gefühl, dass Rory diese unschönen Worte zum ersten Mal in den Mund genommen hatte. Auch die blonde Schwester betrachtete ihn mittlerweile ziemlich unfreundlich. Anscheinend hatte er ihre Gastfreundschaft über Gebühr beansprucht.
Als er die Schwingtür zum Wartebereich aufstieß, stand der Kleiderschrank mit Kurzhaarschnitt auf und schlenderte zum Wasserspender an der gegenüberliegenden Wand. Damit geriet er zwangsläufig in Winters Nähe, und vermutlich war nichts anderes Sinn und Zweck der Aktion. Der Kerl war um die zwanzig und sah aus, als hätte er schon in so mancher Schlägerei seinen Mann gestanden. Und als wollte er dem Typen mit der Kamera genau das klarmachen.
» Alles klar?«, fragte Winter, als sich die massige Gestalt vor seine Nase schob.
» Was geht dich das an?«, knurrte der Kleiderschrank. » Hast du ein Problem, oder was?«
Winter ging einfach weiter. » Nein, nein, überhaupt nicht.«
» Will ich dir auch geraten haben!«, rief ihm der Kerl hinterher.
Scheiß Glasgow, dachte Winter. Immer dieser feindselige Unterton. Und jetzt musste er auch noch zurück in die Pitt Street, mit mindestens genauso viel Papierkram wie vor ein paar Stunden. Alle Fotografien wollten fein säuberlich abgelegt werden, und keine einzige hatte einen Platz in seiner Sammlung verdient. Winter seufzte. So langsam schien ihm ein kühles Pint Guinness eine richtig gute Idee zu sein.
Vielleicht war es Intuition, vielleicht fühlte er sich tatsächlich beobachtet. Auf jeden Fall drehte er sich am Ende des Flurs noch einmal um, blickte zurück zur Notaufnahme– und sah, wie ihn der Muskelprotz durch die Glastür anstarrte.
5
Zwei Stunden nach ihrem Einsatz im Rotlichtbezirk kehrte Rachel dorthin zurück. Den kleinen Constable hatte sie gegen DC Julia Corrieri ausgetauscht, und nun waren sie auf dem Weg zum Beratungszentrum Wish in der York Street. In der Beratungsstelle habe sie Kontakte, hatte Narey ihrer jungen Kollegin erklärt, und wenn sie eine Chance hätte n, den Namen der t oten Prostituierten zu ermitteln, dann dort.
Corrieri war Anfang zwanzig, ein großes, kantiges Mädchen mit einem dunklen Topfschnitt und einer etwas täppischen Aura. Dumm war sie nicht, das war Narey klar, aber ob sie immer wusste, was für ein Tag gerade war? Narey war die Aufgabe zugefallen, Corrieri wie eine Art große Schwester überall mit hinzuschleppen, was ihr schon nach
Weitere Kostenlose Bücher