Snapshot
haben, haben wir aufgehört. Dann wussten wir ja… also, wir dachten… dass sie im Ausland ist.«
Sie sprang noch einmal auf und nahm eine Fotografie vom Kaminsims: Oonagh in ihrer ersten Schuluniform. Damit kehrte sie zum Sofa zurück, setzte sich wieder und drückte sich das gerahmte Bild zärtlich an die Brust. Ihr Mann nahm neben ihr Platz und legte ihr den Arm um die Schultern.
» Mr. und Mrs. Cullough, könnten Sie uns vielleicht ein Foto von Oonagh ausleihen? Am besten das aktuellste, das Sie besitzen?«, fragte Narey. » Natürlich bekommen Sie es zurück. Das verspreche ich Ihnen.«
Der Vater nickte, blickte aber nicht auf. » Ich geh es gleich holen.«
» Und wäre es möglich, dass einer von Ihnen die Tote identifiziert? Dazu müssten Sie ins Leichenschauhaus der städtischen Polizei am Saltmarket kommen…«
» Selbstverständlich«, sagte Mr. McCullough. » Das übernehme ich.«
» Vielen Dank. Es tut mir wirklich sehr leid, dass ich Ihnen so traurige Nachrichten bringen musste. Ich schicke Ihnen einen Kollegen vom psychologischen Dienst vorbei. Er wird sich heute Nachmittag bei Ihnen melden.«
» Nicht nötig«, erwiderte Mr. McCullough sofort. » Wir brauchen keine Hilfe.«
» Ich denke, es kann nicht schaden. Der Kollege wird Sie anrufen. Alles andere ist dann Ihnen überlassen.«
» Gut, wie Sie meinen. Ich bringe Sie noch zur Tür.«
Brendan McCulloughs Hand schloss sich noch einmal um die Schulter seiner Frau, bevor er aufstand, die beiden Polizistinnen auf den Flur führte und die Tür zum Wohnzimmer schloss.
» Sind Sie sich absolut sicher, dass es sich um Oonagh handelt?«, flüsterte er.
» Ja«, antwortete Narey.
» Und Sie sind sich auch sicher, dass sie drogensüchtig war und eine… Prostituierte?«
» Leider ja, Mr. McCullough.«
Sein Gesicht verfinsterte sich. » Selbst wenn dem so ist, ich hoffe, Sie gehen dem Fall gewissenhaft nach. Diese armen Mädchen sind den Leuten doch völlig egal. Und die Polizei hat natürlich immer Wichtigeres zu tun.«
» Ich kann Ihnen versichern, dass wir alles tun werden, was in unserer Macht steht«, erwiderte Narey ausweichend. Denn im Stillen musste sie ihm recht geben– die meisten Ressourcen wurden zurzeit von den verdammten Scharfschützenmorden in Beschlag genommen.
» Also werden Sie den Kerl fassen, der mein kleines Mädchen umgebracht hat?«
» Auf jeden Fall, Mr. McCullough.« Nareys Stimme klang viel zuversichtlicher, als sie guten Gewissens sein konnte. » Auf jeden Fall.«
29
Als Winter die Augen öffnete, tat ihm alles weh. Der Kopf, der Körper, der ganze Samstagmorgen tat weh. Der Kopf und der Körper hatten gestern unterschiedliche Arten von Schlägen einstecken müssen, und beide nahmen es ihm noch immer übel. Nach dem Duschen ging es dem einen besser, den anderen juckte das warme Wasser wenig. Aber für den ersten Kaffee waren beide einigermaßen dankbar.
Er zwängte sich in seine Klamotten und wollte schon runter zum Zeitungskiosk, ließ es dann aber bleiben. Da seine blauen Flecken gegen den Kater gewonnen hatten, war er früh aufgewacht– früh genug, um noch schnell die Zeitungen von gestern zu überfliegen, bevor er in die Pitt Street musste. Heute sollte eine morgendliche Lagebesprechung des Teams » Nachtschwalbe« stattfinden, aber da wurde er nicht gebraucht. Man würde ihn zu den Waffen rufen, wenn sich der Killer wieder meldete.
Auf den Titelseiten der Zeitungen prangten die Morde an Adamson und Haddow, und bei den meisten hatten beide ein großes Foto abbekommen. Außer beim Daily Star, aber selbst dort musste sich ein Reality- TV -Häschen an den Rand quetschen, um einer Porträtaufnahme des toten Buchhalters Platz zu machen. Aber der größte Hingucker war die Schlagzeile der Sun:
DER NÄCHSTE DOPPELSCHLAG !
Verdammt. Das konnte alles Mögliche heißen. Dasselbe hätten sie über das zwanzigste und einundzwanzigste Saisontor eines Stürmerstars schreiben können. Noch dazu hatten sie sich ein Logo ausgedacht: die Buchstaben » D« und » E« in einem roten Kreis, der wie das Zielfernrohr eines Gewehrs aussehen sollte. Winter konnte sich vorstellen, wie Alex Shirley beim Anblick der Zeitung in die Luft gegangen war. Ganz zu schweigen von Addison. Als sich ihre Wege gestern getrennt hatten, war Addison abgrundtief schlecht drauf gewesen. Je mehr Whisky er getrunken hatte, desto schlimmere Sachen wollte er mit dem Killer anstellen. Jetzt wurde der Scharfschütze immer weiter aufs Podest gehoben,
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