Snapshot
die Nachwelt und für das hohe Gericht bewahrt, jetzt konnten sie ihn in Stücke reißen. Was ihm durch den Kopf ging, ging vermutlich auch den anderen durch den Kopf– Kreuzigung und Bargeld, ein bisschen Jesus, ein bisschen Judas, ein bisschen Heiliger, ein bisschen Sünder. Während er seine Arbeit gemacht hatte, waren ihm die anderen immer weiter auf die Pelle gerückt. Elende Gaffer, sensationslüsterne. Aber jetzt hatten sie es doch nicht so eilig, sich dem Toten zu nähern, und zuerst dachte Winter, sie würden sich aus Höflichkeit zurückhalten, weil es sich um einen der Ihren handelte. Bis ihm auffiel, dass unter ihnen niemand von der Spurensicherung war. Baxter, Cat, wer auch immer heute Morgen Dienst hatte, war noch nicht eingetroffen, und daher mussten die anderen leider warten. Graeme durfte seine Menschenwürde noch ein paar Minuten behalten.
Winter driftete wieder in seine eigene Welt ab. Als ein Handy klingelte, zuckte er zusammen. Nein, nicht ein Handy. Zwei Handys. Zwei Klingeltöne drangen durch das undeutliche, unwichtige Geschwätz der Cops, zwei Melodien, die miteinander verschmolzen. Doch die eine kam Winter bekannt vor. Sein Hirn versuchte, sie von der anderen zu unterscheiden. Detectives und Uniformierte sahen sich an, Hände wanderten zu Taschen und tasteten nach Telefonen. Manche hielten bald wieder inne, da es offensichtlich nicht bei ihnen läutete.
Jan McConachie, die etwa drei Meter rechts von Winter stand, zog als Erste ein Telefon hervor und blickte mit einer Mischung aus Verwirrung und Unbehagen aufs Display. Sie blickte immer noch aufs Display, als ein Schuss knallte und eine Kugel in ihren Kopf einschlug. McConachie flog der Länge nach hin. Auf ihrer Stirn explodierte ein blutiger Kreis, rot wie ein kandierter Apfel.
Instinktiv fuhr Winter herum. Er drehte sich nach links, wo der andere, der vertraute Klingelton vor sich hin dudelte. Und bekam gerade noch mit, wie Addison, der sein Handy in der Hand hielt, versuchte, sich irgendwie aus der Schusslinie zu bringen, sich auf den Asphalt zu werfen, sich zu ducken. Zu spät. Irgendwo in Winters Rücken dröhnte ein weiterer Schuss, der Addison auf dem Absatz herumriss. Eine Blutfontäne stieg auf, als hätte man eine Ölquelle angezapft, und ein scharlachroter Schwall ergoss sich auf Addisons Kleidung, bevor er endlich zu Boden ging.
31
Winter hörte, wie Addison auf dem Asphalt aufschlug. Dann hörte er nichts mehr. Der Knall der Schüsse, der Schrecken hallte in seinen Ohren wider. Die wenigen Cops, die sich noch nicht auf den Boden geworfen hatten, standen wie versteinert da. Als Winter auf Addisons leblosen Körper blickte, bemerkte er, dass Rachel ihn anstarrte. Ihre Augen hielten ihn fest, während er mit angehaltenem Atem auf den nächsten Schuss wartete. In diesem Sekundenbruchteil, der sich zu einer Stunde dehnte, in dieser Stunde, die in einem Sekundenbruchteil verflog, hoffte er, dass die nächste Kugel nicht sie, sondern ihn treffen würde.
Alex Shirley erwachte aus seiner Erstarrung. Seine Stimme zerteilte die Stille: » Runter!« Als Winter flach auf dem Boden lag, sah er, wie das Blut aus Addisons Körper strömte und ihn einhüllte wie ein tiefrotes Totenhemd. Winters Herz hämmerte, als würde es gleich durch den Brustkorb brechen. Der Tod kam ihm nicht mehr halb so schön vor.
Und was lag er hier so blöd rum? Winter stand auf, bis er wieder auf seinen zittrigen Beinen stand, und kehrte der Lagerhalle und dem gekreuzigten Forrest den Rücken zu. Er drehte sich in die Richtung, aus der die Schüsse gekommen waren.
» Verdammt noch mal, Winter! Runter!«, bellte Shirley, doch Winter hörte nicht auf ihn. Mit hämmerndem Herzen und trockener Kehle starrte er in die Ferne, dorthin, wo das Arschloch mit der Kanone sein musste. Auch wenn er ihn nicht sehen konnte, er hielt seinem Blick stand. Er ließ ihm Zeit, zehn lange Sekunden, bevor er sich in Bewegung setzte. Bevor er zu Addison lief, die Kamera im Anschlag. Hätte der Scharfschütze ihn abknallen wollen, hätte er es längst getan.
Einen guten Meter vor Addison hielt Winter inne, um ein Foto zu machen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er Tränen in den Augen hatte. Addison lag auf dem Rücken, ein Bein war unter dem anderen eingeklemmt, ein Arm abgespreizt, der andere über der Brust. Das Handy hatte er ein paar Meter von sich geschleudert.
Sein Schädel war aufgerissen und übergossen von Blut, seine Augen vor Schreck geweitet, sein Mund zu einer letzten
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