Snobs: Roman (German Edition)
Teil aber auch, weil sie Edith wirklich gern hatte. Und so erhielt Edith die Einladung, Annette am Nachmittag zu Hardy Amies’ Modenschau zu begleiten und sich vorher mit ihr zum Lunch zu treffen.
Edith war nie in dem Restaurant gewesen, das im Obergeschoss des Meridien in der Piccadilly Street lag. Es war vor kurzem komplett renoviert worden: Der Speisesaal lag nun auf der ehemaligen Terrasse, die mit Glaswänden, einem Marmorfußboden und Palmen ausgestattet worden war, eine zweite Heimat für die vielen Besucher aus Los Angeles, die nun hoffentlich durch die neu geöffneten Türen strömen
würden. Edith schlängelte sich durch die Tische auf die winkende Annette zu. Sie war mit ihrem schicken Winterkostüm, der Brosche und der Perlenkette eine elegante Erscheinung. Zu ihrer eigenen Überraschung hatte sie mit dem Gedanken gespielt, einen Hut zu tragen. Das tat sie dann doch nicht, aber das Kostüm war möglicherweise Ausdruck einer Seite von ihr, die eine Zeit lang von T-Shirts oder Glitzerklamotten verdrängt worden war, anscheinend die einzigen Alternativen im Kleiderschrank von Simons Freunden. Sogar Simon, der auf dem Sofa lag und gut gelaunt die Szenen des nächsten Tages durchging, gab einen Kommentar ab: »Du lieber Himmel, todschick! Du siehst aus wie deine Schwiegermutter!« Doch sie war nicht darauf eingegangen. Vielleicht hatte sie seinen Spott sogar als Kompliment empfunden.
Annette küsste sie und bestellte für sie beide ein Glas Champagner. Es dauerte nicht lang, bis sie vom üblichen Begrüßungsgespräch zur Sache kamen. »Wann unternimmst du den nächsten Schritt?«
»Welchen Schritt?«
»Na, die Scheidung. Hast du schon etwas in die Wege geleitet?«
Edith rutschte etwas unbehaglich auf ihrem Stuhl herum. »Eigentlich nicht. Noch nicht.«
»Warum nicht?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Vermutlich, weil ich … weil wir das Gefühl haben, wir könnten genauso gut die zwei Trennungsjahre abwarten und es dann mit einem Minimum an Aufsehen hinter uns bringen. Sonst wird ein solcher Wirbel darum gemacht …«
»Zwei Jahre!« Annette lachte. »Ich glaube nicht, dass Charles zwei Jahre warten will.«
»Warum denn nicht?«
Annette starrte sie an. »Das Rennen ist schon voll im Gang.«
Zu ihrer Überraschung verspürte Edith eine leise Übelkeit in ihrer Magengrube. »Was meinst du damit?«
»Meine Liebe, sobald die Nachricht bekannt wurde, stürzten sich alle auf ihn wie die Aasgeier. Was hast du erwartet? Ihr habt nicht einmal ein Kind, daher hält sie nichts zurück.«
In Edith stieg Ärger auf. Wie konnte es diese Frau wagen, mehr über ihren Mann zu wissen als sie selbst? »Ich glaube nicht, dass er sich mit jemand Speziellem trifft.«
»Da irrst du dich.« Annette trank einen Schluck, um eine dramatische Pause machen zu können. »Erinnerst du dich an Clarissa Marlowe?«
Edith lachte und konnte wieder durchatmen. Clarissa Marlowe, Urgroßenkelin eines Höflings, dem in den Zwanzigerjahren eine unbedeutende Baronswürde verliehen worden war, war eine Cousine zweiten Grades mütterlicherseits von Charles. Eine energische, vor Gesundheit strotzende Brünette, die gut reiten konnte und sich bei zähen Abendgesellschaften als hilfreich erwies. Sie arbeitete am Empfang einer zweifelhaften Immobilienfirma, der sie zu einem gehobeneren Image verhelfen sollte, und wohnte mit ihrer Schwester in einer Wohnung gleich bei der Old Brompton Road. Eine klassische Vertreterin der Haarreif tragenden höheren Tochter und, wie Edith erleichtert dachte, überhaupt nicht Charles’ Typ.
»Sei nicht albern. Sie ist seine Cousine. Ihre Beziehung ist nur kameradschaftlich.«
Annette zog die Augenbrauen hoch. »Na, so kameradschaftlich, dass die beiden kurz vor Weihnachten eine Woche in die Karibik geflogen sind und Clarissa Neujahr in Broughton verbrachte.«
Das war ein Schlag, nicht zu leugnen. Edith staunte, wie schwer er sie traf. Was hatte sie denn gedacht? Dass Charles für immer allein bleiben würde? Sie war jetzt seit acht Monaten weg und er war auch nur ein Mensch. Edith vergegenwärtigte sich das Bild Clarissas und empfand heftige Wut auf die untadelige junge Frau aus dem Landadel. Um ehrlich zu sein, war ihr Clarissa immer recht sympathisch gewesen, denn sie machte sich gern nützlich, lachte über Ediths Geschichten und hatte nie zu den Verwandten gehört, die Edith hartnäckig als lästige Fremde behandelten. Wenn sie länger nachdachte, hatte seine Cousine wohl immer eine Schwäche
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