Snobs: Roman (German Edition)
gehoben – mag dem Außenstehenden unhöflich erscheinen (und ist es in der Tat), aber ich muss gestehen, es erzeugt eine entspannte Atmosphäre. Keiner unternimmt Anstrengungen, höflich zu sein, daher braucht man auch sich selbst nicht dazu aufzuschwingen. Und wenn um jemand großes Aufhebens gemacht wird, kann man fast sicher sein, dass es sich um einen »Außenseiter« handelt oder zumindest um jemanden mit einer tödlichen Krankheit, der besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Würde jeder aufspringen und sich entzückt geben, wäre dies für den Neuankömmling fast eine Beleidigung.
Adela und ich sahen jedoch in der Vorzugsbehandlung, in deren Genuss wir kamen, keinerlei soziale Herabsetzung. Wir begriffen einfach, dass wir um einen Gefallen gebeten würden. Und als Lady Uckfield fragte, ob ich mir ihren neu dekorierten Privatsalon ansehen wolle, über den wir uns anscheinend vor einiger Zeit unterhalten hatten, erhob ich mich auf der Stelle. Die Frage war gleichermaßen an meine Frau gerichtet, doch etwas an Lady Uckfields Benehmen verriet ihr, dass nur ich erwünscht war. Und da wir beide vor Neugier umkamen, was hier eigentlich im Busch war, wollte sie das Zustandekommen des ersehnten Gesprächs unter vier Augen vorantreiben und erklärte, sie würde lieber Lord Uckfield Gesellschaft leisten und noch etwas Tee trinken.
Besagter Salon lag von den mir bekannten Räumen ziemlich weit entfernt in einem der Seitenflügel, mit dem Haupttrakt verbunden durch einen bogenförmigen Gang, dessen Fenster auf den Park hinausgingen. Der Salon entpuppte sich als bezauberndes, elegantes Nest, das von Lady Uckfields untrüglichem Gespür für eine behagliche, schnörkelverliebte Grandezza zeugte. Der Raum war recht groß, die gepolsterten Wände mit altrosa Damast bespannt, die hübschen Stühle mit herrlichem Chintz bezogen. Überall standen kleine japanische Schreibtische, bemalte Bücherschränke, kleine Tischchen mit feinen Einlegearbeiten, alles übersät mit dem Krimskrams reicher Aristokraten, Blumen, Meißener Porzellan, hübschen Lampen, Miniaturen, Schalen mit getrocknetem Lavendel, emaillierten Kerzenhaltern,
kleinen Gemälden auf Staffeleien, die mit Schnitzereien verziert waren; auf dem eigentlichen Schreibtisch (einem schönen französischen Stück aus dem achtzehnten Jahrhundert, mit Goldbronze überzogen) stapelten sich Papiere, Einladungen und öffentliche Anfragen. Im rechten Winkel zum Kamin, hinter dessen poliertem Gitter ein kleines Feuer knisterte, stand eine gepolsterte, mit geknöpftem Moiréstoff bezogene Recamière. Auf dem Kaminsims tummelten sich in fröhlichem Durcheinander Porzellanfiguren, Schnupftabakdosen, angekaute Hundespielzeuge, ein gestricktes Kaninchen und Postkarten von Freunden aus Barbados und San Francisco, dazu eine Pastellzeichnung von Greuze, die eine frühere Lady Broughton zeigte. Mit anderen Worten, dies war eindeutig das Hauptquartier einer grande dame .
»Wie hübsch der Salon geworden ist«, sagte ich.
Doch Lady Uckfield hatte bereits vergessen, mit welcher Ausrede sie mich hierher gelotst hatte, und winkte mich nur zum Sessel auf der anderen Seite des Kamins, gegenüber der Recamière, auf der sie sich mit ernstem Gesicht niederließ.
»Haben Sie Edith in letzter Zeit gesehen?«
»Nicht in letzter Zeit. Nicht seit Adela sie bei der Modenschau getroffen hat.«
»Ah ja.« Sie schwieg einen Moment. Ich hatte es ihr noch niemals angemerkt, wenn ihr unbehaglich zumute war, doch in diesem Moment war dies mit Sicherheit der Fall.
»Wie geht es Charles?«
Als Antwort zuckte sie nur mit den Mundwinkeln. »Ich möchte Sie etwas fragen. Ich weiß, dass Edith immer noch mit diesem wie heißt er gleich zusammen ist. Hat sie die Absicht, ihn zu heiraten?«
Das verblüffte mich doch. »Ich weiß nicht. Er ist noch nicht geschieden – ich bin nicht einmal sicher, ob er das Verfahren schon eingeleitet hat.«
Sie nickte vor sich hin. »Charles hat mir gesagt, dass sie vorhat, die beiden Trennungsjahre abzuwarten und dann eine Scheidung im beiderseitigen Einvernehmen zu erwirken.« Sie hielt inne, und ich
nickte meinerseits. Das war neu für mich, schien mir aber keine schlechte Idee, da die Scheidung dann kaum noch Schlagzeilen machen würde. »Allerdings finden Tigger und ich diesen Plan nicht gut …«
Sie zögerte, in größerer Verlegenheit, als ich sie je erlebt hatte. »Wir haben das Gefühl, je früher Charles einen Schlussstrich unter das Ganze ziehen und sein Leben neu
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