Snobs: Roman (German Edition)
beginnen kann, desto besser für ihn. Uns ist der Gedanke zuwider, dass sich alles ewig hinzieht und man nie das Gefühl haben kann, dass es vorbei ist.« Sie sah mich fragend an. »Verstehen Sie, worauf es uns ankommt?«
»Wahrscheinlich schon.«
»Sie wissen es vielleicht nicht, aber die Sache hat ihm fürchterlich zugesetzt. Er ist kein Mensch, der seine Gefühle zur Schau trägt, aber er war in einem entsetzlichen Zustand, das kann ich Ihnen versichern.«
Ich nickte und glaubte ihr aufs Wort – ich brauchte nur an jene Szene in seinem Arbeitszimmer zu denken, als er vor mir geweint hatte. Charles gehörte zu den Männern, die viel weniger selten sind, als es die modernen Frauenzeitschriften glauben machen, Männer, die sich für eine Frau entscheiden und ihre Entscheidung dann nie in Frage stellen. Sie binden sich ohne Wenn und Aber, weil sie nie auf den Gedanken kommen, dass sie ihre Emotionen neu ausrichten müssen, bevor der Tod sie scheidet – und sogar für diesen Fall gehen sie davon aus, dass der Mann als Erster stirbt. Das heißt meiner Meinung nach nicht unbedingt, dass ein solcher Mann unfähig zur Untreue wäre. Wer weiß schon, was auf einer Landwirtschaftstagung in den USA, auf einer Jagdpartie in Schottland alles passieren könnte? Allerdings würde ich behaupten, er wäre unfähig, das Ende seiner eigenen Ehe zu provozieren. Als er Edith wählte, schenkte er ihr die ganze Liebe, zu der er fähig war, und als natürliche Folge auch sein ganzes Vertrauen. Weder seine Liebe noch sein Vertrauen waren besonders faszinierender Natur, jedoch in reichlichem Maß vorhanden. Davon bin ich überzeugt. Nein, es überraschte mich nicht, dass er in einem »entsetzlichen Zustand« gewesen war.
Lady Uckfield war noch nicht zu Ende. »Wir hoffen alle so sehr, dass er sein Leben neu aufbauen kann, und haben wirklich das Gefühl, dass er jetzt die Chance dazu hätte.«
»Ist er jemand anderem begegnet?«
Sie neigte den Kopf zur Seite und enthielt sich einer Antwort, und da wusste ich, dass es so war. Oder dass sie es zumindest hofften. Ein paar Minuten später war ich zu dem Schluss gekommen, dass wahrscheinlich Clarissa gemeint war.
»Wenn Charles frei wäre, könnte er neu planen. Jetzt kann er es nicht. Die Vergangenheit zieht und zerrt an ihm, so dass er nicht mehr klar denken kann.«
Diese Formulierung erweckte meine Neugier. Inwiefern konnte Charles nicht »klar denken«? Lady Uckfield ließ mich nicht aus den Augen und erwartete von mir eine Reaktion.
»Wie kann ich helfen?«, fragte ich. Ich wollte doch gern wissen, welchen Part Lady Uckfield mir zugedacht hatte. Ich wusste, dass es ein wichtiger Part sein musste, denn eine Frau ihres Formats empfindet es als unerträglich, über das Privatleben ihrer Familie mit anderen als langjährigen Freunden ähnlichen Rangs zu sprechen (und selbst das tut sie höchst selten). Ob sie mich mochte oder nicht, spielte dabei keine Rolle. Bei diesem Gespräch litt sie Höllenqualen.
»Können Sie mit Edith reden? Können Sie sie fragen, ob sie einer sofortigen Scheidung zustimmen würde? Früher wäre das natürlich unangenehm gewesen, aber denken die Leute heutzutage immer noch so? Ich glaube nicht – und Sie müssen ihr versichern, dass die Abfindung davon völlig unberührt bleibt. Es würde absolut keinen Unterschied machen.« Sie überschüttete mich nun mit einem regelrechten Wortschwall, um ihre eigene Verlegenheit zu überspielen. Kein Wunder. Was sie von mir verlangte, war wirklich eine Zumutung. Vielleicht das Vulgärste, was ihr je über die Lippen gekommen war. Die Überraschung stand mir wohl ins Gesicht geschrieben. »Sie müssen dies für eine sehr lästige Mission halten.«
»Ich weiß nicht, ob ich sie mit dem Wort ›lästig‹ beschrieben hätte.« Das kam etwas streng heraus, doch Lady Uckfields Manieren waren
geschliffen genug, dass sie merkte, wann sie die von ihrer eigenen Etikette gesetzten Grenzen überschritten hatte. Sie steckte den Rüffel mit Grazie als verdient ein.
»Natürlich ist es schrecklich, jemanden um Derartiges zu bitten.«
»Sie tun Edith Unrecht«, sagte ich. »Sie denkt nicht an Geld.« Was stimmte. Ich glaube nicht, dass Edith je daran gedacht hatte, mehr von Charles zu nehmen als ein paar tausend Pfund zur Überbrückung. Es genügte ihr, dass er die Miete in der Ebury Street bezahlt hatte und ihr die Möglichkeit ließ, Schecks einzulösen. Eines hatte Lady Uckfield nicht begriffen: Edith war sich ihres
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