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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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Zeit heult. Also ziehen wir uns zurück und trauern, während die Mörder zu Idolen werden.«
    Jan erwidert nichts, aber sie spricht weiter: »Hast du mit Marie-Louise auch darüber geredet?«
    Â»Nein. Nur mit Hanna.«
    Â»Gut.« Lilian scheint sich zu entspannen und hebt die Tasse. »Marie-Louise würde nämlich sofort die Klinikleitung alarmieren, wenn sie wüsste, was geplant ist.«
    In der Küche wird es wieder still.
    Â»Was ist denn geplant?«, fragt Jan vorsichtig.
    Lilian scheint zu überlegen, wie viel sie erzählen soll.
    Â»Ein Treffen«, sagt sie schließlich. »Wir werden ein Treffen mit Rössel haben. Hanna hat das zusammen mit einem Wachmann vom Krankenhaus organisiert.«
    Â»Und worum soll es bei dem Treffen gehen?«
    Â»Wir wollen eine Antwort«, erklärt Lilian. »Wollen Rössel dazu bringen, dass er anfängt zu reden.«
    Â»Worüber?«
    Â»Ãœber John Daniel.«
    Â»Deinen Bruder«, sagt Jan leise.
    Lilian nickt traurig. »Er ist weg.«
    Â»Ich weiß. Ich habe auch über John Daniel gelesen.«
    Sie seufzt. »Man will eine Antwort darauf, warum das passieren musste«, erklärt sie und senkt den Blick. »Aber man bekommt sie nicht. Alles ist nur ... nur Dunkelheit. Und man hat das Gefühl, man träumt. Damals, vor sechs Jahren, als John Daniel verschwunden ist, habe ich das mehrere Monate lang gedacht. Und als ich dann begriff, dass ich wach bin und dass er immer noch weg ist, dachte ich, ich würde darüber hinwegkommen, aber so ist es nicht. Es nagt immer weiter in einem. Am schlimmsten ist es für meinen Vater. Er glaubt, John Daniel wäre noch am Leben. Jeden Tag sitzt er am Telefon und wartet.«
    Jan hört zu und lässt sie reden, er kommt sich vor wie ein Psychologe. Wie Tony.
    Â»Aber Rössel hat nichts gestanden, oder?«, fragt er leise.
    Lilian schüttelt den Kopf. »Rössel ist ein Psychopath. Ihm fehlt die Fähigkeit, Schuld zu empfinden, deshalb gesteht er nichts. Er erzählt ein paar Halbwahrheiten, die er dann wieder zurücknimmt. Das Einzige, was er will, ist Aufmerksamkeit. Für ihn ist das alles nur ein Spiel.«
    Â»Hasst du ihn?«
    Sie sieht ihn scharf an, als ob sich die Antwort von selbst verstünde.
    Â»John Daniel ist schließlich gestorben, er hat nur neunzehn Jahre leben dürfen. Aber Rössel ist nicht bestraft worden. Um ihn kümmert man sich, er bekommt freie Kost und Logis. Er lebt ganz wunderbar im Patricia.«
    Jan denkt an die langen menschenleeren Korridore und fragt: »Ist es da denn so wunderbar?«
    Lilian nickt entschieden.
    Â»Klar, vor allem für eine Berühmtheit wie Rössel. Er wird in Frieden gelassen und versorgt. Medizin, Therapie und jede denkbare Unterstützung. Schließlich wollen sich die Ärzte in seinem Glanz sonnen. Aber John Daniel, der ...«, sie senkt wieder den Blick, »... der ist ermordet und irgendwo verscharrt worden. Und ich selbst habe Jahre meines Lebens verloren. Das machen die Trauer und der Hass mit einem. Man vertrocknet.«
    Fast hätte Jan gefragt: Trinkst du deshalb so viel? Doch er hält sich zurück. Er kann erahnen, was Lilian durchgemacht hat und was sie über Rössel denkt – er hatte ähn­liche Gefühle gegen Torgny Fridman und Die Viererbande gehabt.
    Â»Das heißt, du arbeitest wegen John Daniel in der Vorschule?«
    Lilian nickt. »Ich dachte, ich könnte auf eigene Faust Kontakt zu Rössel aufnehmen, aber das funktionierte nicht. Schließlich habe ich Hanna um Hilfe gebeten, und die hat es dann hingekriegt.«
    Â»Machst du dir denn keine Sorgen um sie?«
    Â»Weil sie ins Krankenhaus hinaufgeht?«, fragt Lilian. »Sie trifft Rössel ja nicht selbst, sondern hat nur einen Briefwechsel mit ihm. Das ist nicht gefährlich.«
    Jan antwortet nicht.
    Lilian erzählt weiter: »Hanna ist die Einzige, die weiß, wer ich bin und dass ich mit John Daniel verwandt bin. Ich hatte nie mit Journalisten zu tun, als das passiert ist, das haben meine Eltern übernommen. Sie haben sich vor den Fotografen aufgebaut, haben Schulfotos hochgehalten und direkt in die Kameras geweint. Sie haben gebeten und gefleht, dass derjenige, der etwas wüsste, sich doch bei der Polizei melden solle. Aber das führte zu nichts. Und jetzt sind wir in Vergessenheit geraten.«
    Sie seufzt.
    Jan muss an all die Dinge

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