So bitterkalt
denken, die Hanna ihm erzählt hat, und fragt: »Was will Rössel denn? Will er frei sein?«
Lilian presst die Lippen zusammen. Jetzt wirkt sie energischer als vorhin.
»Er wird nicht frei sein. Vielleicht glaubt er das, aber so weit kommt es nicht. Er wird nur mit uns reden.«
»Und wann?«, fragt Jan.
»Nächsten Freitag, an dem Abend, wenn in Sankt Patricia die Brandschutzübung stattfindet.«
Jan nickt.
»Da werden sie auch eine Evakuierung proben«, erklärt sie. »Das heiÃt, dass alle Patienten ihre Zimmer verlassen müssen. Da wird es in den Fluren Gedränge geben.«
Jan muss an die alten Patienten unten im Keller denken. Ihre Blicke waren so leer.
»Und was geschieht dann mit Rössel?«, fragt er.
»Der Wachmann, mit dem Hanna in Kontakt steht, Carl, wird Rössel von der Station ins Besuchszimmer lassen.«
»Wo ihr dann wartet?«
»Da werden wir ihn treffen und mit ihm reden. Damit er uns sagen kann, wo John Daniel begraben ist.«
»Glaubst du, dass er das tun wird?«
»Ich weià es«, sagt Lilian. »Er hat es Hanna versprochen.«
Jan will etwas sagen, zögert aber. »So was kann auch schiefgehen.«
»Klar, aber wir gehen mit Rössel kein Risiko ein«, erklärt Lilian. »Wir sind vier Leute, mein Bruder und ich und zwei Freunde. Wir haben das schon alles durchgespielt. Ich habe meinen Bruder bereits ein paarmal über die âºLichtungâ¹ reingelassen, damit er sich alles ansehen kann.«
»Abends?«
Lilian nickt.
»Dann haben die Kinder also deinen Bruder gesehen«, sagt Jan.
»Ehrlich?«
»Mia hat in einer Nacht einen Mann an ihrem Bett stehen sehen. Ihr seid nicht so vorsichtig, wie ihr glaubt.«
»Wir sind vorsichtig genug.« Lilian sieht ihn an. »Aber sag, jetzt, wo du alles weiÃt, bist du dabei?«
»Ich?«, fragt Jan erstaunt. »Wo sollte ich dabei sein?«
»Wir können Hilfe gebrauchen. Jemanden, der Wache hält.«
»Vielleicht«, sagt er schlieÃlich. »Ich werde es mir überlegen.«
Auf dem Heimweg denkt er an das, was Lilian über die Brandschutzübung gesagt hat. Alle Patienten müssen ihre Zimmer verlassen. Da wird es in den Fluren Gedränge geben. Und Rami wird natürlich auch, genau wie alle anderen, aus ihrem Zimmer gelassen.
Am nächsten Morgen hat Jan Waschtag. Also geht er in den Keller und stellt zwei Maschinen an.
Auf dem Weg zurück nach oben hält er inne, als er bei Legén vorbeikommt. Eigentlich sollte er nicht mehr zu dem Nachbarn gehen, aber Jan hat festgestellt, dass er Legén mag, der Mann ist sich selbst treu.
Er klingelt an der Tür, die nach kurzer Zeit geöffnet wird.
»Hallo, ich binâs nur, Ihr Nachbar. Wie gehtâs?«
»Ganz gut.«
»Wollen Sie einen Kaffee?« Diesmal will Jan den alten Mann einladen. »Gern«, erwidert Legén und kratzt sich am Nacken. Dann nimmt er eine Plastiktüte vom FuÃboden auf und tritt, als hätte er schon lange auf eine EinÂladung gewartet, eilig ins Treppenhaus hinaus. Jan weist ihm den Weg in seine Wohnung.
»Ganz schön eng hier«, meint Legén und beäugt neugierig die vielen Möbel.
Jan seufzt. »Sind nicht meine.«
Er geht in die Küche, und zehn Minuten später ist die Kaffeemaschine in Gang. Legén hat sich an den Tisch gesetzt, und Jan stellt ein paar Kekse hin.
»Wie läuftâs mit dem Wein?«
»Stark ... Diesmal wird er stark.«
Legén klingt zufrieden. Jan nimmt einen kleinen Schluck Kaffee und überlegt, wie alt sein Gegenüber wohl sein mag. Vielleicht siebzig. Er arbeitet ja seit vier oder fünf Jahren nicht mehr im Sankt Patricia.
Schweigend trinken sie ihren Kaffee, da klingelt es an der Tür.
»Bleiben Sie nur sitzen«, sagt Jan zu Legén, geht in den Flur und öffnet die Tür. Im Treppenhaus steht eine Nachbarin, eine ältere Frau, klein und mager und mit einem übervollen Wäschekorb unter dem Arm. Jan hat seine Wäsche vergessen und blockiert die Maschinen. Die Frau sieht offensichtlich verärgert aus.
»Tut mir leid, ich habe die Zeit vergessen«, entschuldigt er sich.
Die Frau nickt bloÃ. Und dann fragt sie schnell: »Sie und er sind also Freunde, oder was?«
»Er?«
»Verner Legén.«
»Freunde?«, wiederholt Jan leise, er möchte nicht, dass Legén ihn hört. »Ich weiÃ
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