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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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Jan sieht ihnen der Reihe nach in die Augen.
    Â»Hat einem von euch die Maus leidgetan?«
    Er kriegt keine Antwort. Leo starrt ihn trotzig an, die anderen haben den Blick gesenkt.
    Â»Ihr habt die Waldmaus mit euren Stöcken gepikst, bis sie geblutet hat«, sagt Jan leise. »Hat einem von euch die Maus dabei leidgetan?«
    Am Ende nickt der Kleinste. Ganz vorsichtig.
    Â»In Ordnung, Hugo, das ist gut. Sonst noch jemand?«
    Auch Natalie und Josefine nicken schließlich, eine nach der anderen. Nur Leo weigert sich, Jan anzusehen. Er sieht zu Boden und murmelt etwas von »Papa« und »Mama«.
    Jan beugt sich vor.
    Â»Was hast du gesagt, Leo?«
    Doch Leo antwortet nicht. Jan könnte noch weiter in ihn dringen, ihn vielleicht zum Weinen bringen.
    Papa hat das auch mit Mama gemacht.
    Hat Leo das wirklich gesagt? Jan meint, sich verhört zu haben, und er würde den Jungen gern erneut fragen.
    Doch schließlich sagt er nur: »Schön, dass wir darüber geredet haben.«
    Die Kinder begreifen, dass sie frei sind, sie springen vom Fußboden auf und rennen aus dem Raum.
    Er sieht ihnen nach. Haben sie etwas begriffen? Er selbst erinnert sich noch gut an die Standpauke, die ihm sein Lehrer hielt, als er im Alter von acht Jahren mit seinem Freund Hans und den anderen Jungs in der Klasse Nazis gespielt hatte. Sie waren in einer langen Reihe über den Schulhof marschiert und hatten »Heil Hitler!« gerufen und waren sich stark und mächtig vorgekommen – sie waren im Gleichschritt marschiert!  –, ehe ein Lehrer gekommen war und den Spuk beendet hatte.
    Dann hatte dieser Lehrer ein Wort gesagt, das Jan noch nie zuvor gehört hatte. »Auschwitz!«, hatte er gerufen. »Wisst ihr, was dort geschehen ist? Wisst ihr, was die Nazis in Auschwitz mit Kindern und Erwachsenen gemacht haben?«
    Keiner der Jungs hatte es gewusst, also hatte der Lehrer sich hingestellt und von den Güterzügen und den Krematorien und den Bergen von Schuhen und Kleidern erzählt. Danach war Schluss mit den Nazispielen.
    Jan geht den Kindern hinterher, bald ist Zeit für die Singstunde. Routinen – er vermutet, dass es in den Abteilungen von Sankt Patricia genauso viele Routinen gibt. Tag um Tag dieselben Dinge. Feste Zeiten, eingefahrene Wege.
    Die Kinder waren nicht böse, als sie die Maus quälten. Jan weigert sich zu glauben, dass Kinder böse sind, auch wenn er sich selbst in der Schule oft wie eine kleine Maus gefühlt hat, wenn er auf dem Flur älteren Jungs begegnete. Er hatte nie mit Gnade gerechnet, und es gab auch keine.

Luchs
    In der Woche nachdem Jan den Bunker im Wald gefunden hatte, fing er an, ihn zu putzen und einzurichten.
    Er war sehr vorsichtig und wartete immer, bis die Sonne untergegangen war, ehe er die Wohnung verließ und zu dem Hügel im Wald wanderte, wo der Bunker lag. Im Verlauf von zwei Wochen ging er dreimal mit einer Wurzelbürste und Müllsäcken in einer Tasche versteckt dorthin. Er kletterte den Hügel hinauf, kroch in den Schutzraum und fegte den Beton sauber. Alles musste raus: Staub, Spinnennetze, Laub, Bierdosen, Zeitungen.
    Am Ende gab es nur noch leere Flächen. Dann lüftete er, indem er die Stahltür weit offen stehen ließ, und er nahm auch ein paar Duftsteine mit, die er in die beiden hintersten Ecken legte, damit sie einen künstlichen Rosenduft im Raum verbreiteten.
    Es war jetzt Oktober, und jedes Mal, wenn Jan zu dem Hügel kam, lag noch mehr abgestorbenes Laub auf dem Boden. Die geraden Kanten des Bunkers wurden langsam, aber sicher bedeckt, sodass der Beton immer mehr mit dem Hügel verschmolz. Wenn die alten Eisenriegel an der Tür zugeschoben waren, war der Bunker nur schwer zu entdecken.
    Am anstrengendsten war es, die neue Einrichtung dorthin zu bringen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, doch auch das erledigte er, wie zuvor das Putzen, spätabends im Dunkeln. Er kannte den Weg zwischen den Tannen hindurch zum Hügel inzwischen im Schlaf und brauchte kein Licht.
    Die Matratze hatte er in einem Müllcontainer gefunden, aber sie roch nicht schlecht, und als er sie in den Wald gebracht hatte, klopfte er sie gründlich aus. Decken und Kissen stammten von einem Möbelhaus am Stadtrand. Er hatte sie gekauft, alle Etiketten abgerissen und die Sachen dann zweimal gewaschen, ehe er sie auf die Matratze im Bunker legte.
    Das halbe Dutzend Spielsachen, das er in einem Rucksack

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