So bitterkalt
Verstanden?«
William nickte, und Jan legte ihm die Hand auf den Kopf. »Die brauchst du nicht«, sagte er und zog ihm die gelbe Mütze herunter. »Die stecken wir in meine Jacke. Und jetzt lauf!«
William drehte sich um. Er sauste auf seinen kurzen Beinen durch den Wald, genauso wie die anderen Jungen es gemacht hatten, nur in eine ganz andere Richtung.
Jan richtete sich auf und sah ihm nach. William war am ersten Stoffpfeil und rannte, ohne zu zögern, weiter in die Klamm.
Im Wald war es ganz still, und doch kam es Jan vor, als würde er im Auge eines Orkans stehen. Er spürte, was alles schiefgehen konnte, ein Chaos von Risiken und Fehleinschätzungen umtoste ihn.
Ruhig , sagte eine innere Stimme. Folge einfach dem Plan.
Er hörte das Geräusch von Trommeln. Es trommelte in seinem Kopf, es trommelte und trommelte.
Er drehte sich um und holte tief Luft. »Alles muss versteckt sein!«, rief er den Tannen zu. »Ich komme!«
Das stimmte nicht. Jan ging nicht los, um nach den acht Jungen zu suchen, die sich versteckt hatten, sondern er wandte sich um und lief durch das Unterholz zur Klamm, wo der neunte Junge verschwunden war. William.
Er lief schneller.
19
Die Tür zu Jans Treppenhaus verschlieÃt sich jeden Abend automatisch um acht Uhr. Danach benötigt man einen Schlüssel oder einen Türcode, um hineinzukommen.
Er ist schon vor ein paar Stunden von der »Lichtung« nach Hause gekommen, hat zu Abend gegessen und sich dann mit den Bilderbüchern aus der Vorschule an den Küchentisch gesetzt. Das erste Buch, Die Tiermacherin, ist jetzt fertig illustriert und koloriert. Ob Rami das Ergebnis wohl gefallen würde?
Jetzt hat er sich das nächste Buch vorgenommen: Viveca im Steinhaus . Er überlegt, wie er die undeutlichen Bleistiftskizzen verstärken könnte, und liest gleichzeitig den Text:
Es war einmal eine alte Frau, die eines Morgens erwachte. Was???, dachte sie, denn sie lag in einem Holzsarg. Sie war schwach, aber dennoch schaffte sie es, den Deckel hochzustemmen und rauszuschauen. Das Zimmer, in dem der Sarg stand, war groà und hatte Steinwände und einen SteinfuÃboden.
» Hallo? « , rief sie in die Stille, erhielt aber keine Antwort.
Sie wusste nur eines: Viveca. Sie hieà Viveca.
Jan liest den Text auf der Seite zweimal durch und fängt dann an, die Skizze mit Tusche auszufüllen. Viveca ist eine dünne Frau mit groÃen Augen. Ihr Kopf ragt aus einem Sarg.
Es dauerte mehrere Tage, ehe Viveca sich stark genug fühlte, aus dem Sarg zu klettern. Oh. Oje! Als sie endlich den Sargdeckel beiseitegeschoben hatte und aufgestanden war, sah sie neben sich einen zerschlissenen Hundekorb.
An dem Korb hing ein Schild, auf dem stand BLANKER, und im Korb lagen ein Haufen grauer Staub und ein Hundehalsband. Der Staub hatte die Form eines liegenden Hundes.
Auch in diesem Buch kommt der Name Blanker vor, denkt Jan, genau wie in der Tiermacherin .
Er ist von der Geschichte gefesselt und liest weiter, während er die dünnen Bleistiftlinien nachzieht.
SchlieÃlich konnte Viveca das Schlafzimmer verlassen und betrat einen groÃen Saal. Dort standen lauter schöne Möbel, die aber alle alt und sehr verstaubt waren. An der Wand neben der Treppe hing eine weiÃe Holzuhr, doch als Viveca sie näher betrachtete, sah sie, dass mit den Zeigern irgendetwas nicht stimmte. Tick, tack. Sie liefen rückwärts.
Viveca ging weiter in einen Flur mit einer Tür. Sie war verschlossen.
In einem anderen Schlafzimmer im unteren Stockwerk fand sie zwei weitere Särge. Sie standen nebeneinander, als ob sich ein verheiratetes Paar in sie gelegt hätte. Ein Mann und eine Frau? Nein, nein, nein â Viveca wollte den Deckel nicht anheben und nachÂsehen.
Neben dem Schlafzimmer war abermals eine Tür, und als Viveca sie öffnete, sah sie eine steile Treppe, die in die Dunkelheit hinabführte. Vorsichtig stieg Viveca die Treppe hinunter und gelangte in den Keller. Dort, auf dem erdigen Boden, lag ein Haufen gelber Knochen. Die Knochen eines Monsters. Igitt. Schnell ging sie in ihr Zimmer zurück.
Die Tage vergingen.
Viveca wartete. Wartete und schlief. Jeden Morgen, wenn sie erwachte, fühlte sie sich frischer. Sie kam sich immer stärker vor und sah im Spiegel immer jünger aus. Und die Zeiger der Wanduhr tickten weiterhin rückwärts. SchlieÃlich ahnte Viveca, was in diesem Steinhaus vor sich
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