So bitterkalt
ohne Lederjacke und jetzt im Baumwollpullover und mit einem Handtuch um den Nacken. Nach einem langen Abend im Scheinwerferlicht ist das Handtuch ebenso schweiÃnass wie der Pullover.
»Wie gehtâs?«, fragt er.
Jan fällt nichts ein, deshalb sagt er nur: »Gut.«
Der Sänger setzt sich an den Tisch. Seine Stimme ist nach dem Konzert ein wenig heiser, aber dennoch warm und freundlich. Er wischt sich die Stirn mit dem Handtuch ab.
»Wir kennen uns nicht«, sagte er, »das weià ich, aber das ist hoffentlich kein Problem.«
»Ganz und gar nicht«, erwidert Jan verunsichert.
»Aber ich habe dich gesehen«, fährt der Sänger fort, »hast du mich auch gesehen?«
»Nein ... oder wie meinst du das?«
»Ich habe dich auf der anderen Seite des Zaunes gesehen, bei meiner Arbeitsstelle. Du fährst jetzt mit dem Fahrrad zur Vorschule, oder?«
Jan stellt sein Bier ab, langsam beginnt er zu begreifen und senkt automatisch die Stimme. »Das heiÃt, du arbeitest in Sankt ... im Krankenhaus?«
Der Mann nickt. »In der Nacht-Sec«, erklärt er.
»Was ist das?«
»Nachtschicht in der Security-Abteilung.«
Jan läuft ein Schauer über den Rücken, er spürt, wie sein Puls steigt. Er muss an den Kellergang und an den Schutzraum denken und ahnt, dass er da unten doch gefilmt worden ist. Gefilmt oder beobachtet. Er wartet nur darauf, dass eine Gruppe Wachleute in die Bar gestürzt kommt und ihn packt, seine Arme greift, ihn durchsucht und verhört ...
Doch der Sänger der Bohemos sitzt ganz ruhig da und lächelt unverwandt und völlig unbekümmert. »Ich weiÃ, dass du Jan heiÃt«, sagt er, »Jan Hauger.«
Jan nickt. »Und wie heiÃt du?«
»Rettig, Lars Rettig.«
»Aha. Wie ulkig, dass wir uns hier begegnen.«
Rettig schüttelt den Kopf. »Ich weiÃ, wer du bist. Ich wollte dich treffen.«
»Und warum?«
»Weil wir Hilfe brauchen.«
»Wobei?«
»Um den Verirrten zu helfen.«
»Den Verirrten?«
»Den Patienten von Sankt Psycho. Willst du ihnen helfen, damit es ihnen besser geht?«
Jan schweigt. Eigentlich sollte er nicht hier sitzen und mit einem Krankenhauswachmann über ihren gemeinÂsamen Arbeitsplatz reden â er hat Schweigepflicht. Doch langsam entspannt er sich. Lars Rettig scheint ihm nichts Böses zu wollen. »Vielleicht«, sagt er deshalb. »Aber worum geht es denn?«
Rettig schweigt ein paar Sekunden, als würde er Anlauf zu einem umfassenderen Vortrag nehmen. Doch dann sieht er sich um, beugt sich über den Tisch und sagt mit gedämpfter Stimme: » Um Verbote. Wir sind all die Verbote leid.«
»Wer ist âºwirâ¹?«, fragt Jan.
Doch Rettig antwortet nicht, sondern steht nur vom Tisch auf. »Wir können ein andermal weiterreden. Ich lass von mir hören.« Er nickt aufmunternd, fügt dann aber hinzu: »Du wirst uns helfen, Jan, das weià ich. Ich sehe es dir an.«
»Was siehst du?«
Rettig lächelt.
»Dass du etwas übrig hast für die Schwachen.«
18
Alle Vorschulkinder laufen mit Tieren im Arm herum. In der »Lichtung« ist Mitbringtag, und wer kein eigenes Stofftier besitzt, darf sich eines aus dem Korb ausleihen. Das Personal auch. Also sieht man überall Teddybären und Tiger und Giraffen mit Schlenkerbeinen. Mira trägt eine rot-weià gestreifte Python, und Josefine hat einen rosafarbenen Elch.
Ein Schutztier, denkt Jan.
Er selbst hat einen goldgelben Luchs. Den hat er im Korb gefunden, und als alle anderen sich ein Tier ausgesucht hatten, hat er den Luchs genommen. Er ist schon recht fadenscheinig, aber wenigstens stinkt er nicht.
»Wie heiÃt der?«, fragt Matilda.
»Das hier ist ... Lofty. Er ist ein Luchs und kommt aus dem Wald, aus einem Wald, der weit weg ist.«
»Warum ist er nicht dortgeblieben?«, fragt Matilda.
»Weil er ... euch Kinder mag«, antwortet Jan. »Er möchte gern wissen, wie es hier bei euch ist, er will mit euch spielen.«
Leo hat eine einäugige Katze dabei, die er so fest umarmt hält, dass der Körper ganz verknautscht und bucklig ist.
»Wie heiÃt dein Tier, Leo?«
»Freddie.«
»Was für ein Tier ist das?«
»Weià nicht, aber kuck mal.«
Leo streckt ihm eine kleine Faust entgegen und öffnet sie. Jan sieht das andere Auge der Katze in der Kinderhand,
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