So fühlt sich Leben an (German Edition)
graffitibesessenen Sohn klarkommen, und meine Nacht-und-Nebelaktionen führten regelmäßig zu Riesendiskussionen. Dazu kam natürlich die Sorge, dass ich auf die schiefe Bahn geraten könnte. Drogen, Milieu, alles, was der Kapitalismus so mit sich brachte und im Sozialismus unbekannt war, machte ihm Angst. Ich lief aber auch zerzaust herum. Farbe an der Hose, Farbe an den Händen, alles war mir egal, solange nur meine Bildergalerie an der S-Bahn-Strecke Fortschritte machte. Und schließlich– was sollte mein Vater denn antworten, wenn seine Kollegen ihn fragten: Was macht dein Sohn denn so? Der hat den Weg eines Künstlers eingeschlagen? Völlig abwegig für jemanden aus der Generation meines Vaters.
Wie oft habe ich versucht, ihm zu erklären, was Hip-Hop ist! Habe um sein Verständnis gebuhlt, wenn er mir schon seine Anerkennung verweigerte. Aber natürlich immer mit diesem fordernden Unterton– warum kapierst du das jetzt nicht?
Ich also, typisch Jugendlicher: » Sei doch froh. Sei doch froh, dass ich sprühen gehe, statt Ausländern auf die Schnauze zu hauen oder Drogen zu konsumieren. Sei doch froh, dass dein Sohn am Schreibtisch sitzt und Entwürfe macht und weder den linken noch den rechten Schreihälsen hinterherläuft. Graffiti sind nicht politisch. Was ist daran zu verurteilen?«
Und er: » Es ist illegal. Und Kunst ist es schon gar nicht.«
Da blieb er eisern. Schmuddelig, verboten, unkoscher– also die nächste Enttäuschung für ihn. Irgendwann hatte ich keinen Bock mehr auf diese fruchtlosen Auseinandersetzungen, da betrat meine Mutter die Bühne, ergriff die Initiative und sagte zu meinem Kuje: » Weißt du was? Vielleicht ist es gar nicht schlecht, wenn das Küken das Nest verlässt.« Prima Idee. Und ich brauchte mich um nichts zu kümmern. Eine Kollegin meiner Mutter ging zum Studium ins Ausland, ihre Einzimmerwohnung in Marzahn wurde für drei Jahre frei, und ich zog ein. Gleich am Helene-Weigel-Platz, gleich an der Märkischen Allee und dem S-Bahnhof Springpfuhl. Es ist also nicht so, dass ich meine Sachen im Zorn gepackt hätte. Das hatte schon seine Ordnung. Ich war da gerade mal siebzehn.
Natürlich war auch meiner Mutter angst und bange. Wunderbarerweise ließ sie mich trotzdem gewähren und sagte nur: » Lass dich nicht erwischen. Wenn du sprühen gehen willst, dann geh, aber sei vorsichtig.« So war sie. Ihr Interesse galt einzig und allein der Frage, ob ich glücklich oder unglücklich war. Bist du glücklich, sagte sie, dann sieh zu, dass es so bleibt. Und bist du unglücklich, dann ändere was daran… Also schlug ich mir weiterhin an der Wand die Nächte um die Ohren und war vorsichtig.
Erwischt worden bin ich nie. Auf Verdacht festgenommen ja, doch das nützte ihnen nichts, weil sie dich nur drankriegen können, wenn sie dich auf frischer Tat ertappen, wenn sie dir gewissermaßen die Handschellen anlegen, während deine Hand noch die Dose hält. Dabei war die Sache wirklich heikel, denn ein einziges Bild zu malen dauert manchmal drei Stunden, und wenn man so lange in seine Arbeit versunken mit seinen Dosen hantiert, kann es schon mal geschehen, dass man das Schlagen einer Autotür überhört. Oder das Herannahen eines Zugs. Denn der S-Bahn-Fahrer darf dich natürlich genauso wenig entdecken, wobei man diesbezüglich anfangs allerdings keinerlei Bedenken haben musste. Die S-Bahn-Fahrer aus dem Osten kannten keine Graffiti, die staunten höchstens, wenn ihnen ein Sprüher bei der Arbeit in den Lichtkegel geriet– da malt einer ’ne Wand voll? Was ist das denn? Das war denen egal, obwohl es definitiv Deutsche-Bahn-Gelände war. Betriebsgelände. Später hielten sie die Augen offen, und unsereins nahm sich den Stöpsel mit der Mucke aus einem Ohr, damit er wenigstens eines zum Aufpassen und In-die-Nacht-Lauschen freihatte.
Später hat man sich immer besser organisiert und sogenannte Scouts als Aufpasser mitgenommen. Das waren Jungs, die von dir angelernt wurden, denen du nachts an der Wand deine skills weitergegeben hast wie die Maler der alten Zeit an ihre Gehilfen im Atelier, und denen hast du gesagt: Du stellst dich an diese Ecke, du an die andere, und wenn jemand kommt… Man ist also nicht mehr allein losgezogen, und ich selbst bin irgendwann sicherheitshalber sogar auf Handschuhe umgestiegen, auf hauchdünne, aber sehr strapazierfähige OP -Handschuhe, die mir meine Mutter aus dem Krankenhaus mitbrachte. Die zogst du nach getaner Tat aus, ex und hopp, und hattest saubere
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