So fühlt sich Leben an (German Edition)
arabischen Großfamilien haben auch im Osten alle Läden übernommen. Ich behaupte: Mit der alten Türstehergeneration wäre das nicht passiert. Und um eines klarzustellen: Die BFC -Hools waren keine Nazis. Hooligans passen sowieso in kein politisches Raster. Die prügeln sich zwar gern, jedoch ohne politische Ambitionen irgendeiner Art.
Der seltsamste und unheimlichste Fall dieser Jahre aber ergab sich aus einer Alltagssituation im Hansa.
Eines Tages kam Alex Wende auf mich zu und sagte:
» Mensch, Hagen, du hast doch Verbindungen, du kennst doch ’ne Menge Leute…«
» Ja, wieso?«
» Ich habe da jemanden, der braucht ein Eisen.«
Über die Tür hatte ich ja zu Leuten Kontakt, die an Knarren rankamen, zumal sich die Türsteher gerade zu einem Schützenverein mit dem humorigen Klubnamen » Zum goldenen Schuss« zusammengeschlossen hatten.
» Arrangiere ein Treffen zwischen dieser Person und mir«, habe ich gesagt, » und ich kümmere mich um den Rest.«
Wenig später gab mir Alex Ort, Tag und Uhrzeit durch, und ich ging hin. Ein Name war bisher nicht gefallen.
Ich saß wie vereinbart bei einem Griechen und wartete auf den Betreffenden, meinen Klienten sozusagen. Da ging die Tür auf, und ein Typ betrat den Raum, den ich irgendwoher kannte. Er setzte sich, und ich brauchte ein paar Minuten, bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel: Dieses Gesicht gehörte einem bekannten Schauspieler.
Aber es war nicht derselbe Mann, den ich aus dem Fernsehen kannte. Es war ein verschreckter Mensch mit todernster Miene, der jetzt von mir wissen wollte, was es auf diesem Gebiet alles gibt und was es kosten würde. Ich klärte ihn über die diversen Varianten auf– » Es kommt immer darauf an, wofür man das Eisen braucht«–, und während des Beratungsgesprächs spürte ich bereits, dass sich mein Gegenüber in einer furchtbaren Lage befinden musste. Er interessierte sich nämlich für eine kleine Waffe mit sechs Schuss und kurzem Lauf– » kostet viereinhalbtausend, unregistriert«–, und Waffen dieses Typs sind bei Selbstmördern beliebt. Gut, mir konnte im Augenblick gleichgültig sein, wofür er sie brauchte. » Alles klar«, habe ich gesagt, » dann treffen wir uns nächste Woche an gleicher Stelle wieder zum Geschäftsabschluss.«
Doch die Sache ließ mich nicht mehr los. Je länger ich darüber nachdachte, desto unheimlicher wurde sie mir. Ich hatte selbst eine Waffe bei mir getragen, in Zeiten, in denen ich mir nicht anders zu helfen wusste und schlichtweg Angst um meinen Arsch hatte. Aber wie konnte sich ein Mensch mit diesem Namen, dieser Karriere, in ein solches Häufchen Elend verwandeln, und was um alles in der Welt wollte er mit einer Waffe anstellen, brauchte er sie wirklich nur zum Schutz? Da habe ich mich über meinen prominenten Kunden erkundigt, bin zu Alex gegangen und habe ihn gefragt:
» Sag mal, was ist denn mit dem? Was steckt dahinter?«
Und Alex: » Na ja, er hat gerade die Diagnose Krebs erhalten. Er ist am Ende.«
» Dann kann ich ihm keine Waffe verkaufen. Das kann ich nicht.«
Und genau das habe ich dem Mann bei unserer nächsten Begegnung freiheraus gesagt. Dass er von mir keine Waffe kriegt, weil ich denke, dass er sich damit das Leben nehmen will. Dass er keine Angst vor einem anderen hat, sondern vor sich selbst, vor seinem eigenen Schicksal. Da ist er aufgestanden und gegangen.
Natürlich hatte ich anschließend einen Riesenärger mit den Jungs, bei denen ich die Knarre in Auftrag gegeben hatte. Das ging eigentlich nicht, ein Eisen zu bestellen und dann zu sagen: Nee, brauch ich nicht. Musste ich mich dafür gerademachen, aber den Grund für meinen Rückzieher brauchte keiner zu wissen. Mir saß ein unbekannter Schreck in den Gliedern, seitdem mir klar geworden war, wohin die Verzweiflung einen Menschen führen kann, und ich wusste: Wenn ich ihm das Ding verkaufe und ein paar Tage später in der Zeitung lese, der Schauspieler Soundso hat sich das Leben genommen, dann werde ich mir das nie verzeihen.
Er ist dann, wie ich hörte, eines– in Anbetracht seiner Krankheit– natürlichen Todes gestorben.
19 | Heil meine Wunden
Dank Nazis, Russen, Tür und dem Mann mit dem Pistolenwunsch kam genug Stoff für meine Joe-Rilla-Alben zusammen, und trotzdem fehlte was. Die Liebe. Mir fehlte eine Frau zum Anhimmeln und Lieben und Besingen.
Alle Tête-à-Têtes, die nach Eileen kamen, brachten’s nicht, da war nie was Ernstes dabei. Eigentlich bin ich nicht der Typ, der von einer zur
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