So fühlt sich Leben an (German Edition)
Anderthalbliterflaschen Cola zur Hälfte mit Whiskey gefüllt und sind zum Brandenburger Tor gefahren, Katrin, etliche Freunde und ich, und waren stockbesoffen, als wir ankamen.
Eine Stunde vor Mitternacht stand ich an der Bushaltestelle Unter den Linden und kam nicht mehr klar. Ich sah haufenweise Menschen an mir vorbeiziehen und habe in meinem Vollrausch gedacht: Die feiern jetzt alle zum letzten Mal. Ich war dermaßen in meinem Weltuntergangsfilm drin, dass ich den ganzen Trubel als Bestätigung empfand: Aha, die hauen jetzt noch mal auf den Putz, und dann ist Feierabend. An Silvester habe ich gar keinen Gedanken mehr verschwendet. Ich war bereit für die Steinzeit, und deshalb hat mich auch die Knallerei nicht im Mindesten gewundert: Sonnenklar, habe ich gedacht, Bürgerkrieg, und statt Böller Kanonen gehört, statt Feuerwerk Raketen gesehen– und keine Katrin weit und breit, die mich auf den Boden der Tatsachen geholt hätte. Katrin war spurlos verschwunden. Später hat sie mir erzählt, sie sei mit der S-Bahn Richtung Dahlem gefahren, also in die komplett falsche Richtung, natürlich ebenfalls knülle. Einen Tag später war die Welt wieder in Ordnung und die Steinzeit verschoben, auf den Jahreswechsel 2999/3000, schätze ich.
Ich hatte mal wieder nichts als Glück. Das Leben ging weiter, die Liebe war groß, die Schwiegereltern bezaubernd und die Wohnung eigentlich immer noch geräumig genug, aber dann brachten uns Marek und Steffi auf die Idee mit Ahrensfelde– » Wäre doch toll, wenn ihr in unserer Ecke wohnen würdet…«. So zogen wir nach Ahrensfelde in die Rosenbeckerstraße um, da hatten wir eine Zweizimmerwohnung für uns allein und Marek und Steffi gleich gegenüber, vis-à-vis, wir brauchten nur auf den Balkon zu treten.
Wir hatten alles richtig gemacht. Ich war der glücklichste Mann der Welt, und 2001 wurde geheiratet.
Es war ein herrlicher, strahlender Sommertag, heiß wie selten. Die Trauung durch den Standesbeamten fand im chinesischen Pavillon vor der üppig wuchernden Kulisse des Botanischen Gartens in Marzahn statt– was auch für diesen Herrn was Neues war, weil da noch nie jemand geheiratet hatte–, und alle waren gekommen, das ganze Hansa, meine Eltern, Marek natürlich, auch Waffel, und Katrin wurde von ihrem Schwiegervater, meinem Kuje, zum Pavillon geführt. Sie sah fantastisch aus, ein tolles Kleid, Perlen im Haar, und strahlte nicht weniger als ich. Sven Meisel hatte es sich nicht nehmen lassen, in die Rolle des Trauzeugen zu schlüpfen, und mein Vater hatte den Baumstamm besorgt, den ich anschließend zersägen durfte. Was eine höllische Tortur war, nicht nur wegen der Hitze, auch weil der Stamm irrsinnig harzte. Trotzdem, es war ein traumhafter Auftakt, und abends ging’s im Hansa weiter.
Sven Meisel hatte dort den Meistersaal für uns herrichten lassen, und der ist an sich schon wunderschön mit seiner Kassettendecke und der Riesentreppe, die zur Empore hochführt. In diesem Saal hatten vormals, wegen der hervorragenden Akustik, Depeche Mode und U2 aufgenommen, und jetzt war da für die ganze Hochzeitsgesellschaft eingedeckt, spektakulär. Meine Freunde hatten ein Abendprogramm vorbereitet, das lief nach dem Essen ab, und dann kam die Hochzeitsnacht, ebenfalls im Hansa.
Unterm Dach gab es Appartements, die für Künstler reserviert waren. Wenn Reinhard Mey keinen Bock mehr hatte, nach Hause zu fahren, weil’s spät geworden war, schlief er da oben. Eines dieser Appartements war etwas größer und luxuriöser als die anderen, und dort hatte uns Sven für die Nacht der Nächte einquartiert. Ich erinnere mich noch… Das ganze Appartement war voller Luftballons. Ich trage Katrin über die Schwelle und versuche, das Bett mit den Füßen zu ertasten, weil es vor lauter Luftballons nicht zu sehen ist, denke, aha, da ist es, und schmeiße mich mit ihr drauf, verpatze die Nummer aber total: Weil wir das Bett noch gar nicht erreicht haben, lande ich mit ihr voll daneben und knalle in die Luftballons. Was okay war. An eine heiße Hochzeitsnacht war nach dieser Monsterfeier sowieso nicht mehr zu denken. Es hatte tierisch Spaß gemacht, aber am Ende waren wir alle fix und fertig.
Ich hatte das Gefühl, mit fünfundzwanzig Jahren endlich im bürgerlichen Leben angekommen zu sein. Der Familiengründung stand nichts mehr im Wege. Das Einzige, was nicht ernsthaft zu meinem neuen Stil passte, war mein Job. Schon deshalb, weil ich immer weniger Lust verspürte, mir die Nächte an der
Weitere Kostenlose Bücher