So funktioniert die Wirtschaft
stabil ist auch nicht gut
Vollständig stabile oder gar sinkende Preise gelten allerdings ebenfalls als schädlich für die Wirtschaft. Das hat v. a. drei Gründe:
Bei sinkenden Preisen steigt die Belastung der Schuldner.
Der Zins kann nicht unter null sinken.
Die Löhne sind oft nach unten starr.
Wenn die Preise unerwartet längere Zeit sinken, also Deflation herrscht, dann ist die Belastung aller Schuldner deutlich höher, als sie zum Zeitpunkt ihrer Verschuldung erwartet hatten. Denn der Rückzahlungsbetrag wird im Verhältnis zu dem, was man dafür kaufen kann, und zum eigenen laufenden Einkommen immer mehr wert. Viele Schuldner gehen pleite, was für die Gläubiger Zahlungsausfälle bedeutet. Diejenigen, die nicht pleitegehen, versuchen alle, ihre Schulden zu senken. Das hat die weiter oben schon beschriebenen negativen Rückkopplungseffekte zur Folge. Wenn jeder sich entschulden will und keiner mehr Geld ausgeben möchte, fehlen die zur Entschuldung nötigen Einkommen.
Beispiel
Japan war ab etwa Mitte der 1990er-Jahre eineinhalb Jahrzehnte lang in einer Deflationsspirale gefangen. Obwohl die Notenbank den Leitzins auf null senkte, sanken die Preise beharrlich, die Wirtschaft wuchs kaum und fiel immer wieder in die Rezession zurück.
Weil der nominale Leitzins nicht unter null sinken kann, kann die Zentralbank mit ihrer Zinspolitik wenig gegen Deflation unternehmen, sobald diese eingetreten ist. Wenn etwa die Preise mit einer Rate von 2 % pro Jahr fallen, dann liegt der inflationsbereinigte (reale) Leitzins selbst bei einem Leitzins von null immer noch bei 2 %. Das ist unter normalen Umständen akzeptabel, in einer Wirtschaftskrise aber nicht.
Dass die Löhne nach unten starr sind, hat gesetzliche und psychologische Gründe. Ein Unternehmen kann zwar dem einzelnen Arbeitnehmer eine Gehaltserhöhung bewilligen, um die Inflation auszugleichen. Es kann aber rechtlich â zumindest in Deutschland â nicht den vertraglich vereinbarten Lohn kürzen, weil die Preise gesunken sind. Der psychologische Grund liegt darin, dass die Menschen es als unfaire Zumutung empfinden, wenn ihr Gehalt gekürzt wird, selbst wenn dies preisbereinigt gar nicht wirklich der Fall sein sollte.
Wenn es einem Wirtschaftszweig eine Zeit lang nicht gut geht, sollten die Löhne dort im Vergleich zu anderen Branchen sinken. Bei Preisstabilität oder gar sinkenden Preisen steigen die Löhne nirgends kräftig, sodass für eine deutliche Ãnderung der Lohnverhältnisse Lohnsenkungen in mehreren Branchen nötig wären. Diese lassen sich aber sehr viel schwerer durchsetzen als ein Verzicht auf vollen Inflationsausgleich.
Aus diesen Gründen gilt eine Inflationsrate von 2 % den meisten Zentralbanken als niedrigster noch ausreichender Sicherheitsabstand zu einem Szenario sinkender Preise. Deshalb bezeichnet die Europäische Zentralbank diese Teuerungsrate, nicht ganz korrekt, als âvereinbar mit Preisstabilitätâ.
Wichtig
Ganz ohne Geldentwertung funktioniert die Wirtschaft nicht gut, weil die Anpassung der Lohnentwicklung an die relative Entwicklung einzelner Branchen und Unternehmer dann kaum noch möglich ist, weil die Schuldner bei (unerwartet) sinkenden Preisen in Schwierigkeiten geraten und weil die Zinspolitik der Zentralbank bei sinkenden Preisen ihre Wirkung verliert. Bei weniger als 2 % Inflation ist der Sicherheitsabstand zur Deflation zu klein. Ab 4â5 % Inflation sind schädliche Wirkungen auf die Wirtschaft nachgewiesen.
Inflation ist schädlich, nicht unsozial
Um die Vorzüge der Inflationsbekämpfung deutlich zu machen, wird gerne argumentiert, Inflation sei unsozial, weil sie v. a. die Rentner und die Bezieher geringer Einkommen treffe. Diese Argumentation ist so stark vereinfachend, dass sie schon fast irreführend wird. Bei gegebenem Einkommen ist natürlich für jeden Menschen weniger Inflation besser als mehr, und Leuten mit geringem Einkommen tut es besonders weh, wenn die Dinge des täglichen Bedarfs teurer werden.
Doch für die meisten ist das Einkommen nicht unabhängig von der Inflationsrate. Renten werden i. d. R. an die Inflation oder an die Gehaltsentwicklung angepasst. Bevor die Preise steigen, sind meist die Löhne und Gehälter schon gestiegen. Sonst hätte es keine Inflation gegeben, sieht man einmal von Ãlpreissteigerungen und Ãhnlichem ab. Daher sind den meisten
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