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So nah bei dir und doch so fern

So nah bei dir und doch so fern

Titel: So nah bei dir und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Allatt
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aufgewühlt. Mark machte sich Sorgen, durch die Konfrontation mit dem Tod und den Krankheiten auf der Intensivstation habe er vielleicht einen irreparablen emotionalen Schaden bei ihm angerichtet. Als er aus der Schule kam, hatte Harvey zu weinen aufgehört und verhielt sich wieder normal, sehr zu Marks Erleichterung. Harvey konnte nicht mehr über die Situation sprechen, aber von da an hatte er sich mit ihr abgefunden und akzeptierte meine Krankheit als eine Tatsache.
    Der Umgang mit Woody bereitete die größten Schwierigkeiten. Er war das Nesthäkchen, gerade mal sechs Jahre alt, und er vermisste die Liebkosungen und Küsse seiner Mutter. Seine älteren Geschwister hatten ihm von ihren Besuchen bei mir erzählt, daher war schwer einzuschätzen, was sich in seinem jungen Kopf abspielte.
    »Wird mich Mama erkennen?«, fragte er Mark auf der Fahrt zum Krankenhaus.
    »Ja, aber vielleicht wird sie weinen. Sie weint allerdings nur, weil sie glücklich ist, dich zu sehen«, antwortete Mark.
    Als ich Woodys Gesicht neben meinem Bett auftauchen sah, rannen mir die Tränen über die Wangen. Ich wünschte so sehr, ihn in die Arme schließen zu können, doch alles, was mir blieb, um ihm zu zeigen, wie sehr ich ihn liebte, war weinen.
    Diese verfluchten Vorschriften für Gesundheits- und Sicherheitsschutz erlaubten es den Kindern nicht einmal, sich auf die Bettkante zu setzen, sodass ich ihre Berührung hätte spüren können. Nichts stimmte. Mein kleiner Woody stand neben mir und streichelte meinen Arm. Auf der Rückfahrt weinte auch er.
    Die Besuche wurden für die ganze Familie zu einer tränenreichen Zeit. Doch leisteten sie auf meinem Weg der Besserung meiner Psyche positive Schubkraft. In den folgenden Wochen wechselten sich Mark und die Kinder ab, neben mir zu sitzen und mir die Stirn mit einem Tuch und Gesichtswasser abzuwischen. Ich genoss die Berührungen, und mit der Zeit wurden die Besuche entspannter.

KAPITEL 12

Teezeit
    N achdem man mich mit der PEG für die künstliche Ernährung ausgestattet hatte, blieb der Hinweis »Nichts durch den Mund« über meinem Bett. Die Nahrungszufuhr erfolgte in vierstündigem Intervall über den Anschluss an einen Ernährungsbeutel. Das war schon besser als dieser Schlauch in der Nase, doch es war nichts im Vergleich zum Gedanken an eine Tasse Earl Grey.
    »Ich schätze, Sie sind scharf auf einen Tee«, sagte die Schwester eines Tages zu mir, während sie sich um meine lebenserhaltenden Gerätschaften kümmerte. Damit lag sie goldrichtig, und ich blinzelte zwei Mal für »ja«.
    Tagelang hatte ich auf die verlockende Schachtel mit Earl Grey Teebeuteln gestarrt, die Mark mitgebracht hatte, da er wusste, dass sie zu den wenigen Dingen gehörten, die vielleicht einen Teil Normalität in mein Leben bringen würden.
    Leider ging es aber nicht einfach darum, den Wasserkessel anzuschalten und einen Teebeutel in eine Tasse zu hängen. Vielmehr folgte die gewaltige Aufgabe, zu ermitteln, ob ich überhaupt Tee trinken konnte, ohne daran zu sterben.
    Eine der wesentlichen Gefahren für Schlaganfall-Patienten ist ein Zustand, den man »stille Aspiration« nennt, und der tödlich sein kann. Simpel ausgedrückt geht es darum, dass Nahrungsmittel oder Getränke den falschen Weg nehmen können. Ein gesunder Mensch hustet das Verschluckte einfach wieder aus, doch da ich über keinen Husten- oder Würgereflex verfügte, war völlig unklar, ob der Tee nicht über die falsche Röhre hinabgehen würde. Und falls dies der Fall sein sollte, könnte es zu einer Brustkorbinfektion oder Lungenentzündung kommen, was für mich leicht das Ende bedeuten konnte.
    War es das wert, für einen Tee mein Leben zu riskieren? Meiner Meinung nach war es das, doch das medizinische Personal musste vorsichtig sein. Die Schwester sprach mit der Oberschwester, die wiederum sprach mit einem Arzt, und sie kamen überein, man solle mir zunächst etwas Lebensmittelfarbe geben, um sicherzugehen, dass die Flüssigkeit in den Magen floss und nicht in die Lunge.
    Eine Schwester tröpfelte mir fünf Tropfen Lebensmittelfarbe auf die Zunge und ließ sie meine Kehle hinabgleiten. Danach saugte man meine Lunge ab, weil man sicher sein wollte, dass die Farbe nicht den falschen Weg genommen hatte.
    Das Ganze war eine widerliche Prozedur. Eine Schwester nahm den Aufsatz der Trachealkanüle, über die ich beatmet wurde, ab und führte einen Saugmechanismus ein. Ich konnte spüren, wie das Gerät mit voller Leistung alles aus dem Inneren

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