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So nah bei dir und doch so fern

So nah bei dir und doch so fern

Titel: So nah bei dir und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Allatt
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meiner Lungenflügel aufsaugte. Dabei gab es abscheulich gurgelnde Geräusche von sich wie eine riesige Kaffeemaschine. Als man festgestellt hatte, dass der aus der Lunge gesaugte Schleim keine Farbspuren enthielt, wusste man, dass die Flüssigkeit durch die Speiseröhre und nicht durch die Luftröhre geflossen war. Daraufhin brachte mir die Schwester einen Becher Tee.
    Ich hatte mich auf einen Earl Grey mit Zucker und Milch gefreut, doch was ich bekam, war Yorkshire Tee mit Milch und ohne Zucker, aber ich konnte mich nicht beklagen. Immerhin war Tee an sich ein gewaltiger Fortschritt.
    Anfangs konnte ich den Tee nicht schmecken, sondern spürte lediglich die Hitze, als die Flüssigkeit über meine Zunge rann, immer nur ein paar Tropfen auf einmal. Die Schwester hielt den Becher vorsichtig an meinen Mund und ließ den Tee durch die Schwerkraft in die Kehle fließen, da meine Mund- und Speiseröhrenmuskeln nicht arbeiteten. Nach jeweils vier oder fünf Schlucken legte die Schwester eine Pause ein, nahm das Sauggerät und prüfte, ob meine Lunge leer war. Und nach fünf Durchgängen mit Träufeln und Absaugen beendete sie meine Teezeit und machte sich an ihre anderen Aufgaben.
    Ich war jedes Mal enttäuscht, wenn es nicht weiterging. Vielleicht wirkte die Prozedur langwierig und schleppend für meine beiden Tassen Tee pro Tag, doch für mich lohnte sich das ganze Ungemach, denn es vermittelte mir ein Gefühl von Normalität. Es verschaffte mir die Hoffnung, eines Tages wieder in der Lage zu sein, ohne dieses Sauggerät trinken zu können.

KAPITEL 13

Wer einmal lügt, der wird entlassen
    D ie Zeit auf der Intensivstation schleppte sich dahin. Ich hatte der miesen Prognose getrotzt und überlebt und signifikante, wenn auch kleine Fortschritte in der Kommunikation gemacht. Nachdem das kritische Stadium hinter mir lag, wartete nun eine langwierige Rehabilitation auf mich, um mit meinen schweren Behinderungen leben zu lernen.
    Osborn 4, die Rehabilitations-Station, befand sich in einem separaten Gebäude des Krankenhauskomplexes. Da keiner der Ärzte auf der Intensivstation daran glaubte, dass ich jemals wieder laufen oder sprechen können würde, ging es ihnen wohl mehr darum, ein freies Bett zu bekommen. Dennoch war die Möglichkeit, in eine andere Abteilung umzuziehen, für meine Psyche ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung. Endlich konnte ich dem bedrückenden Umfeld des Todestrakts entfliehen.
    Mit der neuen Abteilung erwartete mich auch neues Pflegepersonal. Ich war fest davon überzeugt, dass es unter den Mitgliedern des Personals auf der Intensivstation einige gab, die nur vortäuschten, mich zu pflegen, wenn meine Besucher vor Ort waren; in Wirklichkeit wünschten sie meinen Tod.
    Die Erlaubnis für den Umzug nach Osborn 4 war ein Kampf für sich gewesen. Da es sich um eine Rehabilitationsabteilung handelte, wurden nur Patienten aufgenommen, die Anzeichen von Reaktionen auf Reize zeigten und per definitionem auf Rehabilitationstherapien ansprachen. Weil bei mir aber fast keinerlei Bewegungen zu konstatieren waren, wollten mich die Ärzte auf die spezielle Schlaganfallabteilung verlegen, bis meine Angehörigen ihren Dickkopf durchsetzten. Sie waren davon überzeugt, dass man in einer spezialisierten Rehabilitationsabteilung meine Sprach- und Bewegungsmöglichkeiten richtig einschätzen könne, und dass man mir dort die erforderlichen intensiven Therapien zuteilwerden ließe, die ich brauchte, um alle verlorengegangenen Funktionen neu zu lernen. Sie befürchteten, in der Schlaganfallabteilung müsste ich auf einen Großteil dieser Therapien verzichten.
    Um zu entscheiden, ob ich für die Verlegung geeignet war, benutzten die Ärzte einen Test, bei dem sie feststellen wollten, inwieweit mein Gehirn arbeitete und ich Gerüche wahrnehmen konnte. Auf diese Weise konnten sie eruieren, ob sich innerhalb des Gehirns neue Bahnen entwickelten. Tatsächlich konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht das Geringste riechen, doch ich kannte die Vorgehensweise, da ich im Laufe der Wochen mitbekommen hatte, wie andere Patienten getestet worden waren.
    Der Arzt wedelte mit einem Alkoholtuch vor meiner Nase herum, und ich zuckte wie auf Kommando leicht zusammen, um zu zeigen, dass ich auf den scharfen Geruch reagierte. Danach wedelte er vor meinen Nasenlöchern mit einem Tuch, das er zuvor in Essig getaucht hatte, und ich wiederholte die Bewegung, indem ich meine Augen zukniff und damit andeutete, dass mich der säuerliche

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