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So nah bei dir und doch so fern

So nah bei dir und doch so fern

Titel: So nah bei dir und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Allatt
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Therapeut saß und vor und hinter mir jeweils eine Pflegekraft stand. Sie bewegten sich langsam von mir weg, sodass ich gezwungen war, mich aus eigener Kraft aufrecht zu halten. Man kann sich vorstellen, dass dies nicht immer klappte. Anfangs kippte ich einfach um. »Baum fällt!«, hörte ich mich innerlich rufen, als ich erst nach links kippte und dann auf den Rücken fiel.
    Einmal nahm sich Mark für einen Behandlungstermin einen ganzen Tag frei, um meinen Fortschritt begutachten zu können.
    »Das ist toll, Kate!«, sagte er ermunternd, als er sah, wie die Therapeuten erst neben mir saßen, dann abrückten, und ich eine volle Minute aufrecht dasaß.
    Ein anderer Teil meines Körpers, der unter meiner Bewegungslosigkeit litt, waren meine Gedärme. Ich hatte oft über diese Fernsehspots gelacht, in denen Frauen mit verdrehten Augen die Geheimnisse eines weichen Stuhlgangs preisgaben. Jetzt erlebte ich selbst, wie schmerzhaft Verstopfung sein konnte. Man darf es getrost mit Geburtswehen vergleichen. Zwei Wochen lang litt ich unter grausamen Bauchkrämpfen. Ich hatte ungefähr fünfzehn Kilo abgenommen, und um mich aufzupäppeln, wurde über die PEG sehr kalorienhaltige Nahrung zugeführt. Ob das der Grund für meine Verstopfung war, weiß ich nicht, jedenfalls machten mich die Qualen fertig.
    Eines Tages kam meine Mutter und fand mich einsam in meinem Bett in einer Ecke der Station, vor Schmerz tränenüberströmt. Zu meinem Unglück versuchte das Pflegepersonal von Osborn 4 gerade, mich von der Rund-um-die-Uhr-Versorgung zu entwöhnen, die ich auf der Intensivstation genossen hatte, weshalb man meine Tränen fälschlicherweise als Kummer über mein früheres Leben deutete und der wahre Grund unbemerkt blieb. Doch ich war nicht einfach nur bedürftig, mir ging es dreckig.
    Der Stress und die Beschwerden waren so heftig, dass ich nicht einmal Besucher ertrug. Ich hatte ständig Angst vor Stuhlgang in der Gegenwart von Gästen, und keine Kontrolle über meinen After zu haben, machte es nur noch schlimmer. In meiner Vorstellung gab es nichts Beschämenderes, als in Anwesenheit anderer in einer schmutzigen Windel zu liegen, selbst wenn es sich um Alison, Anita und Jaqui handelte, die sich im Laufe der Jahre alle weiß Gott oft genug von Scheiße verschmierten Hinterteilen hatten widmen müssen.
    Sie kamen eines Nachmittags, nachdem sie die halbstündige Fahrt durch die Stadt zu mir auf sich genommen hatten, vergnügt und fröhlich auf die Station geschlendert und wollten mich aufmuntern. Doch ich war in solch einer schlechten Stimmung, dass alle Liebesmüh umsonst war. Ich buchstabierte die Worte: » SORRY , GEHT BITTE .«
    Rückblickend schäme ich mich für mein Verhalten, es war ungehobelt. Und auch wenn man mir vorwerfen konnte, gegenüber dem Pflegepersonal häufig unbeherrscht und ungeduldig zu sein, so hätte ich mich doch gegenüber meinen Freundinnen niemals absichtlich derart rüde benehmen dürfen. Nachdem sie gegangen waren, teilte ich den Schwestern mit: » ICH WILL KEINEN BESUCH .«
    Ich war völlig fertig. Wenn es am schlimmsten kam, litt ich zwanzig Minuten lang unter Geburtswehen ähnelnden Schmerzen, und im Anschluss musste auch noch meine Windel gewechselt werden. Das spielte sich bis zu zwölf Mal am Tag ab. Später erfuhr ich, dass die Schwestern und Pfleger, sobald ich Hilfe anforderte, »Schere, Stein, Papier« spielten, um auszuknobeln, wen das Unglück traf, sich meiner annehmen zu müssen. Ich hoffte jedes Mal, es wäre »Sara klein«, da ich mich bei ihr gut aufgehoben fühlte. Sie zierte sich nie; sie erledigte die Sache einfach, als sei es das Normalste auf der Welt, einem neununddreißigjährigen Baby die Windel zu wechseln.
    Als ich buchstabierte »Es fühlt sich an, als würd ich eine Wassermelone machen« lachte sie und sagte: »Besser raus als rein.« Bislang hatte sie geglaubt, ich sei eine piekfeine Dame, da ich aus Dore kam, doch jetzt bekam sie zum ersten Mal einen kurzen Eindruck von der echten Kate.
    Wenn ich richtig deprimiert war, und das war während der Reha-Zeit häufig der Fall, brachte Alison ihre alten Fotos mit, um mich aufzumuntern. Eins meiner Lieblingsbilder war ein Schnappschuss von Anita, Jaqui, Alison und mir, wie wir uns im Bikini an Deck einer Millionärs-Jacht in der Sonne aalen. Es riss mich sofort aus meiner miesen Situation und katapultierte mich in einen Wodka getränkten Nachmittag unter mediterranem Himmel im September 2009, als wir vier in einer Gruppe von

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