So sollst du schweigen: Roman (German Edition)
du dich fragst«, sagte ich.
Sie nickte. Sie war blass und erschöpft. Sie sah schrecklich aus.
»Megan«, fuhr ich fort, »fühlst du dich besser, wenn ich dir sage, wie leid mir das Ganze tut?«
»Ja, könnte sein«, erwiderte sie spitz.
»Dann tut es mir leid.«
In gespielter Nachdenklichkeit hob sie den Kopf und blickte zur Zimmerdecke. »Nein, eigentlich stimmt das nicht. Ich fühle mich dadurch nicht besser.«
Meinem Empfinden nach hatte sie die theatralische Geste ein paar Mal zu häufig geprobt.
»Liebst du ihn?«
»Steinberg?«
»Natürlich Steinberg, wen sonst?«, fuhr sie mich an.
Ich stieß einen lauten Seufzer aus. »Früher habe ich das, Megan. Aber das wusstest du ja.«
»Was meinst du damit?«
»Damals in der Schule wusstest du, dass ich in ihn verliebt bin.«
»Ach, in der Schule«, gab sie abfällig zurück. »Das zählt doch nicht.«
Sie lehnte sich zurück. »Versuch hier bloß nicht, mich als diejenige darzustellen, die dich verraten hat.«
»Aber genau das hast du getan, Megan.«
»Inwiefern? Inwiefern habe ich dich verraten?«
»In jeder Hinsicht. Du hast nie versucht, mich zu finden. Du hast ihn geheiratet. Und du bist dabei geblieben. Du unterrichtest sogar dort. Wie konntest du das nur tun?«
»Wieso nicht? Wie hätte ich dich denn finden sollen? Ich war zwölf Jahre alt. Deine Mutter hat meiner Mutter erzählt, sie hätten dich zu deiner Cousine nach Schottland geschickt.«
»Und bist du nach Schottland gefahren?«
Es war albern, so etwas zu sagen, trotzdem kränkte es mich nach wie vor, dass niemand versucht hatte, mich zu finden.
»Nein, natürlich nicht«, sagte sie. »Du warst ja weg. Und ich habe ihn erst viel später geheiratet.«
»Wie viel später?«
»Mit neunzehn. Und liebst du ihn heute immer noch? Das ist doch die entscheidende Frage.«
»Nein, tue ich nicht.«
Ihre Miene verriet, dass das nicht die Antwort war, die sie hören wollte. »Tja, aber er liebt dich, Caroline. Er hat sich in dich verliebt. Ist es das, was du wolltest?«
Sie brach in Tränen aus. Im Umgang mit weinenden Menschen versage ich regelmäßig.
»Das war ja schon immer deine Spezialität«, schluchzte sie. »Du nimmst dir, was du willst, und wenn du damit fertig bist, wirfst du es einfach weg. Für dich war es immer so leicht, alles zu kriegen, was du haben wolltest.«
»Rede nicht mit mir, als würdest du mich kennen. Du weißt doch überhaupt nichts über mich.«
Sie erhob sich und sah mir ins Gesicht. Sie schäumte vor Wut. Ich konnte förmlich spüren, wie das Blut in ihren Adern kochte. Doch dann schien ihr ein Gedanke zu kommen, bei dem sich ihre Laune schlagartig hob. Ihre Miene veränderte sich, und sie schlug einen leisen, ruhigen Tonfall an.
»Ich weiß, was du getan hast«, sagte sie und setzte sich wieder.
Im Gegensatz zu ihr gefror mir das Blut in den Adern.
»Was habe ich denn getan?«, fragte ich beklommen in die nachfolgende Stille hinein.
»Du hast Miss Fowler vergiftet!«
Ich war nie gezwungen gewesen, es zu leugnen, weil man mich nie offiziell dieser Tat bezichtigt hatte. Ich brachte es nicht über mich, ihr weiter in die Augen zu sehen, sondern starrte in meinen Rioja und ließ die dunkelrote Flüssigkeit in dem Glas kreisen.
»Deine Mutter hat es mir erzählt«, fuhr sie mit einem Anflug von Triumph in der Stimme fort.
Entsetzt sah ich sie an.
»Meine Mutter?«
»Letzte Woche. Und mit einem Mal ergab alles einen Sinn. Dein Verschwinden an diesem Tag. Und wieso keiner an diesem Wochenende in Cornwall ihren Namen erwähnen durfte. Und was passiert? Keiner von uns tut es!«, zeterte sie. Ich sah ihr an, dass ihr noch etwas auf der Zunge lag, doch sie verkniff es sich.
Stattdessen stand sie erneut auf und zog den Gürtel ihres Mantels enger. »Mach doch, was du willst. Ich bin nur hergekommen, um dir zu sagen, dass du die Finger von meinem Mann lassen sollst, sonst werde ich der ganzen Welt sagen, was du getan hast.«
Ich trank aus. Mir war klar, dass ich meine Worte mit Bedacht wählen musste, doch um eine Antwort war ich noch nie verlegen gewesen.
»Wie schön, zu sehen, dass du ja so erleuchtet bist, Megan«, gab ich zurück. »Scheint so, als hätten sich die Jahre als unkritisches Schaf ausgezahlt und dich zu jemandem gemacht, der eine tiefe Liebe und großes Mitgefühl für die Menschen hegt.«
Mittlerweile hatte ich mich in Rage geredet. Ich stand auf. »Du willst es also ›der ganzen Welt‹ sagen, ja? Verrate mir doch in Gottes Namen, was
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