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So still die Toten

So still die Toten

Titel: So still die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Burton
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habe die falsche Nummer gewählt.«
    »Und mit wem spreche ich?«, fragte der Mann in der Zentrale.
    »Hier spricht Angie Carlson. Es war ein Versehen.«
    »Ist alles in Ordnung?«
    Sie hörte, wie die Eingangstür ins Schloss fiel. »Ja. Alles bestens. Tut mir leid.«
    Sie legte den Hörer auf und ging nach vorne in den Eingangsbereich. Durch das Fenster sah sie, wie Dixon auf seinen dunklen Wagen zuging. Mit zitternden Händen strich sie sich übers Haar.
    Sie kehrte in ihr Büro zurück und legte ihre Jacke ab. Sie hatte sich gerade hingesetzt und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, als Charlotte in der Tür erschien, ein paar Unterlagen in der Hand. Wie immer, wenn Charlotte in ihrer Nähe war, straffte Angie sich ein wenig. Ihre Chefin war nur zwei Jahre älter als sie, doch Charlotte strahlte eine Strenge aus, die sie älter als ihre vierunddreißig Jahre wirken ließ. Angie betrachtete sich als diszipliniert und fleißig, aber im Vergleich zu Charlotte fühlte sie sich wie eine Faulenzerin.
    »Ich habe hier die Stundenabrechnung für September«, sagte Charlotte. Sie verschwendete selten Zeit mit freundlichen Floskeln. Eigentlich sprachen sie nie über Privates. Angie wusste über Charlotte Wellington nicht mehr als am Tag ihres Kennenlernens.
    Manchmal fragte sie sich, ob anstelle eines Herzens eine Stechuhr in Charlottes Brust schlug. »Ich hatte einen guten Monat.«
    »Er war gut, aber nicht umwerfend.«
    Langsam legte Angie den Stift ab und zog die Augenbrauen hoch. »Das sehe ich anders. Nach meinen Berechnungen habe ich allein im letzten Monat zehn Prozent mehr erwirtschaftet.«
    »Diese Zuwachsrate hätte ich auch gern in diesem Monat, möglichst noch mehr.«
    Angie schüttelte den Kopf. »Ein Tag hat nur vierundzwanzig Stunden. Ich kann nicht viel mehr herauspressen.«
    »Dann sollten Sie vielleicht darüber nachdenken, die Pflichtverteidigungen zurückzufahren. In letzter Zeit haben Sie immer mehr solche Klienten angenommen.«
    »Das war unsere Abmachung, als Sie mich eingestellt haben. Sie wissen, wie wichtig das für mich ist.«
    »Es ist nobel, und ich weiß Ihre Arbeit zu schätzen, aber von Pflichtverteidigungen können wir die Stromrechnung nicht bezahlen. Ich habe heute diese junge Frau gesehen. Lulu Sweet, oder? Die wird Sie wohl kaum bezahlen können.«
    Verärgert biss Angie die Zähne zusammen. »Nein.«
    Charlotte lächelte. Mit Zuckerbrot und Peitsche wusste sie gut umzugehen. »Ich weiß, dass Sie fleißig sind, und ich habe unsere Abmachung noch im Kopf und werde sie auch respektieren. Aber manchmal muss man sich ganz und gar auf die zahlenden Mandanten konzentrieren. Nur so werden wir wachsen, und machen wir uns nichts vor, bei der derzeitigen Wirtschaftslage kann es sich niemand leisten, zahlende Mandanten abzulehnen.«
    »Ich habe noch nie einen zahlenden Mandanten abgelehnt.«
    »Dixon ist gerade gegangen, und er sah wütend aus.«
    »Er ist nicht die Art Mandant, die wir wollen.«
    Charlotte faltete die Stundenabrechnung zusammen und fuhr den Knick mit ihren manikürten Fingern nach. »Warum nicht?«
    Angie stand auf. »Ich vertrete Dixon nicht, und wenn Sie mit meiner Entscheidung ein Problem haben, packe ich jetzt meine Sachen, und unsere Wege trennen sich.«
    Charlottes Augenbrauen hoben sich. »Warum reagieren Sie in diesem Punkt denn so empfindlich?«
    »Ich reagiere nicht empfindlich. Aber ich weiß, was ich weiß. Wenn Dixon einen Anwalt braucht, soll er woanders hingehen. Und wenn das ein Problem für Sie ist, dann sagen Sie es am besten gleich.«
    Charlotte sah sie lange an. Noch nie hatte Angie eine so deutliche Grenze gezogen, und Charlotte begriff, wenn sie sie überschritt, würde sie eine sehr begabte Anwältin verlieren. »Also gut. Ich werde Ihren Wunsch in dieser Angelegenheit respektieren. Aber Sie müssen die Lulu Sweets dieser Welt für den Moment zahlenmäßig beschränken.«
    »Was ist nur los? Sind wir in finanziellen Schwierigkeiten?«
    Charlottes Gesicht blieb ausdruckslos. »Sie wissen so gut wie ich, dass es in kleinen Unternehmen finanziell ein ewiges Auf und Ab gibt. Diesen Monat stehen noch mehrere Rechnungen aus, und die Bank erhöht den Dispokredit nicht mehr wie früher. Je mehr wir kurzfristig einnehmen, desto besser.«
    »Ich werde es mir merken.«
    »Wo wir gerade dabei sind – ich habe einen zahlungskräftigen Mandanten, der uns eine Menge Geld einbringen könnte. Wir haben gestern zusammen zu Mittag gegessen.« Charlotte hatte eine besondere

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