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So unselig schön

So unselig schön

Titel: So unselig schön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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Nacken geworfen, die Augen geschlossen, die Lippen leicht geöffnet. Mit der Dunkelheit des Hintergrunds verschwamm eine zweite, kaum wahrnehmbare Figur, eine Art Sklavin, die ein Tablett trug. Darauf lag etwas, das Vicki zunächst nicht erkannte. Erst bei genauerer Betrachtung sah sie, dass es der Kopf eines Mannes war. Sie zuckte zurück.
    ***
    Gegen elf hatte Ursula Weidenbach getan, was vor Ort möglich war, und fragte Dühnfort, ob etwas dagegensprach, die Leiche von Jana Wittich nun in die Rechtsmedizin bringen zu lassen. Er hatte nichts einzuwenden, und Gina forderte den Leichenwagen an.
    Weidenbachs erster Einschätzung nach war der Exitus vor etwa drei Tagen eingetreten, also noch bevor Daniela Heppner ihre Freundin am Sonntag als vermisst gemeldet hatte. »Bis heute Abend weiß ich mehr. Ich melde mich, sobald ich etwas habe.« Die Medizinerin reichte Dühnfort die Hand, griff nach ihrem Koffer und lief den mit Unkraut bewachsenen Pfad entlang zu ihrem Auto.
    »Und nun?«, fragte Gina. »Wie machen wir weiter?«
    Sie gingen zu seinem Wagen. »Ich würde am liebsten Beatrice Mével das Gedicht zeigen.«
    »Unserer Psychologin? Weshalb denn? Dass Lichtenberg nicht ganz sauber tickt, wissen wir doch. Wir sollten den jetzt festnageln. Seine arme misshandelte Psyche können sich die Fachleute später angucken. Wenn der als schuldunfähig eingestuft wird, dann quittiere ich den Dienst, dann schmeiß ich den Krempel hin. Verarschen lasse ich mich nämlich nicht.« Ihre dunklen Augen funkelten.
    »He, Gina.« Er strich ihr über den Arm, spürte die feinen Härchen unter seinen Fingern, die Wärme ihrer Haut und zog seine Hand zurück. »Lass das nicht so nah an dich ran, und außerdem meinte ich das nicht.«
    »Was dann?«
    »Wenn er nach diesem Gedicht mordet … ich weiß nicht, wie ich das sagen soll … Wenn das so ist, dann codiert er damit etwas … verschlüsselt es, versteckt es. Verstehst du, was ich meine?«
    »Du meinst, er geht nicht offen mit seinen Gefühlen um, seinem Streben nach Macht und Kontrolle, seiner Wut, seinem Hass oder was auch immer ihn dazu treibt, Frauen derart abzuschlachten. Du meinst, vielleicht ist ihm selbst nicht klar, warum er das tut?«
    »Ja. So ungefähr meine ich das.« Sie verstand ihn besser als er sich selbst. Der Blick aus ihren dunklen Augen war auf ihn gerichtet. Helle Sprenkel, wie Honig in Schokolade. »Das passt dann aber nicht auf Lichtenberg. Der malt sich den ganzen Scheiß, den er erlebt hat, ja sehr offen von der Seele.«
    »Eben.«
    »Du meinst, wir haben den Falschen vorläufig festgenommen, und in drei Tagen ist wieder Freitag.«
    Er nickte. Weshalb war er jenen Worten nicht früher nachgegangen?
    »Mal abwarten, was die Jungs hier finden. Irgendwelche Spuren muss es diesmal doch geben.« Sie verschränkte die Arme, als ob ihr kalt wäre. »Wie bist du überhaupt auf dieses dunkler Haare Massen gekommen? Ich meine, das war schon ziemlich genial, wie du das Gedicht auf den Bildschirm gezaubert hast. Der große Houdini.«
    »Ich hätte es früher tun sollen. Es ist mir seit Tagen durch den Kopf gegangen. Die Blumen des Bösen steht bei mir zu Hause im Regal.«
    »Du liest Gedichte?«
    »Agnes hat ein Faible dafür. Deshalb.« Es gab ihm einen kleinen Stich, als er daran dachte, weshalb er sich den schmalen Band gekauft hatte. Dich hätt’ ich geliebt, und du hast es geahnt.
    Ginas Augen wurden dunkler. Immer noch Agnes?, hatte sie gefragt. »Weißt du, was komisch ist?«
    »Der Schmetterling fehlt«, sagte Dühnfort.
    »Die unterschiedlichen Auffindesituationen«, entgegnete sie. »In Düsseldorf schleppt er die Leiche tief in den Wald hinein, verbirgt sie unter Zweigen und Ästen. Erst Monate später wird sie entdeckt. Nummer zwei versteckt er nicht, sondern legt sie ganz offen ab. Aber in einem Gebäude, das sicher nicht täglich betreten wird. Es hätte noch Tage oder Wochen dauern können, bis jemand über Nadine gestolpert wäre. Und Jana lässt er zwanzig Meter neben einem Weg liegen, der von Spaziergängern, Joggern und Radfahrern genutzt wird. Wenn das Wetter schön gewesen wäre, hätte man sie wahrscheinlich früher entdeckt. Ich glaube, er wollte, dass wir sie schnell finden. Das ist doch komisch. Vielleicht will er, dass wir ihn erwischen.«
    Dann gäbe es Spuren. »Hoffentlich.«
    Sie wusste, was er dachte, wie er tickte. Und er hätte ihr gerne gezeigt, wie sehr ihn all das berührte. Aber sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, stand mit

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