So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
gelaufen ist: Sie wurden einfach von ihren Eltern zusammenorganisiert. Hey, du hast doch eine hübsche Tochter, ich hab da einen tollen Sohn, die beiden wären doch was füreinander! Und dann wurde gleich geheiratet, ohne Probelauf und ohne Chance auf einen Rückzieher. Pragmatismus auf der ganzen Linie. In mein Weltbild passt das nicht. Ich frage mich, wie da Gefühle aufkommen sollen. Aber noch schlimmer ist die Vorstellung, dass niemals welche aufkommen, man aber trotzdem sein Leben miteinander verbringt, weil man sich einredet, das war so vorgesehen. Oder weil man hofft, irgendwann würde sich schon so etwas wie Liebe einstellen. Doch woher weiß man dann, was Liebe überhaupt ist? Letztens wurde ich gefragt, ob ich glaube,
dass meine Eltern sich lieben. Um ehrlich zu sein, darüber hatte ich noch nie nachgedacht. Für mich war immer klar, dass sie sich nicht lieben, nicht auf die Art und Weise, wie ich Liebe für mich definiere. In meinen Augen lieben sie sich, weil sie seit über zwanzig Jahren verheiratet sind und zusammenleben. Weil sie zwei Kinder haben. Und weil sie nicht allein sein wollen, wenn sie einmal alt sein werden. Liebe ist für sie nicht gefühlsgebunden, sondern zweckgebunden. Seltsam ist nur, dass arrangierte Ehen wie die meiner Eltern meistens wesentlich länger halten als Ehen, die aus Liebe geschlossen wurden. Vielleicht wissen die, die auf diese Weise miteinander verbunden sind, gar nicht, was Liebe ist - und vermissen sie deshalb auch nicht. Vielleicht nehmen sie, was sie haben, einfach als gottgegeben hin und sind zufrieden damit.
Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass ich in einer solchen Beziehung Erfüllung fände. Seitdem ich das erste Mal verliebt war, frage ich mich häufiger, ob Anne glücklich ist. Ich wäre es an ihrer Stelle nicht. Dann denke ich aber: Doch, sie ist glücklich! Sie kann auch glücklich sein. Wie soll sie etwas vermissen, das sie nicht kennt, von dem sie nicht weiß, wie es sich anfühlt?
Als ich noch zum Religionsunterricht in die Moschee ging, erzählte unser Lehrer einmal eine Geschichte aus dem Islam, die gut dazu passt: In einem Dorf lebte eine alte Frau. Sie war noch Jungfer, weil sie jeden Mann, der um ihre Hand angehalten hatte, abgewiesen hatte. Eines Tages klopfte ein Witwer an ihre Tür. Er hatte drei Kinder zu versorgen, aber kein eigenes Haus und auch keine Wohnung mehr. Als die Frau auch ihn wegschickte, bat er sie, in einen Rosengarten zu gehen, die schönste Rosenblüte auszuwählen
und mitzunehmen. Sie dürfe den Weg jedoch nur einmal gehen und auch nicht umkehren, wenn sie glaube, an der schönsten Rose vorbeigelaufen zu sein. Die Frau willigte ein, kam an unzähligen blühenden Rosen vorbei, eine schöner als die andere. Jedes Mal, wenn sie anhielt, weil sie dachte, die schönste gefunden zu haben, entdeckte sie weiter vorn eine, die noch schöner aussah. In dem Moment, als sie sich endlich für eine entschieden hatte, blendete sie plötzlich ein Lichtschein, der vom Ende des Weges kam. Dort wuchs eine Rose, dessen Blätter wunderschön funkelten. Also ging sie noch ein Stück. Doch das Licht hatte sie getäuscht. Die Rose war schwarz und hässlich. Da es aber die letzte war, musste die Frau sie nehmen.
Was uns der Religionslehrer damit sagen wollte? Nimm das Nächstbeste und gib dich zufrieden damit. Sonst bleibt dir am Ende nur das Schlechte, und du musst dich damit herumschlagen. Vielleicht dachte Anne einmal so, ihr wurde diese Geschichte wahrscheinlich auch irgendwann erzählt, oder eine ähnliche, die auf dasselbe hinauslief. Meine Philosophie ist das nicht. Ich würde alles geben, um die schönste Rose zu finden, selbst auf die Gefahr hin, am Ende allein dazustehen. Dann sollte es nicht sein, ich hätte es aber zumindest versucht.
Doch ganz so einfach ist die Geschichte von Anne und Baba auch wieder nicht. Ohne dabei gewesen zu sein, behaupte ich mal, Baba muss noch in der Pubertät gesteckt haben, als Tayfun geboren wurde. Er freute sich über den Sohn und war unheimlich stolz, aber darauf beschränkte sich sein Vatersein auch schon. Anne lebte praktisch wie eine alleinerziehende Mutter. Das änderte sich auch nicht,
als ich geboren wurde. Baba ging arbeiten, damit die Familie versorgt war, und fand ansonsten, dass ihn alles andere nichts anginge. Anne versuchte, mit ihm zu reden, ihn zu ändern, sie stritten sich häufig, aber es kam nichts dabei heraus. Als ich acht war, hatte sie die Nase voll und trennte sich von ihm.
Weitere Kostenlose Bücher