So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
ungeduldig auf ihre Entjungferung. Sie ist immerhin schon zwanzig und will, dass es endlich passiert. Der Mann, der das übernimmt, müsste nicht mal ihre große Liebe sein, sagt sie. Dieser Satz hätte auch von Jenny stammen können, sie ist ebenfalls zwanzig, die Ausgeflippteste von uns allen und wohl auch die mit der meisten Erfahrung, ob es um Sex oder sonst was geht, nicht mal Drogen sind ihr fremd. Ihre wilde Zeit scheint sie allerdings hinter sich gelassen zu haben, seit sie mit Michael zusammen ist. Ich meine, langweilig ist es mit ihr auch jetzt nie, aber sie ist Michael treu und nimmt auch keine Drogen mehr. Das wüsste ich, mir gegenüber ist sie offen wie ein aufgeschlagenes Buch. Gerade waren wir wieder unterwegs, Unterwäsche kaufen, sie wollte Michael mit heißen Dessous überraschen. Jenny weiht mich in so ziemlich alle Details ihrer Beziehung ein. Ich könnte Dinge erzählen! Doch die gehören hier nicht her.
Ich verrate das alles auch nur, um zu verdeutlichen, wie weit dieser Teil meines Lebens von dem meiner Eltern entfernt ist. Wenn ich ihnen nur das Allerharmloseste von all dem erzählen würde - ihnen würden die Ohren glühen. Für mich ist das Alltag, völlig normal, so wie ich ganz selbstverständlich immer Kondome in meiner Tasche habe, gut versteckt natürlich, damit Anne oder Baba sie nicht zufällig finden. Die erste Packung kaufte ich, als das mit Batu war, nur vorsorglich, ich wusste ja nicht, wie weit wir gehen würden, dachte aber: sicher ist sicher.
Verhütung ist auch so eine Sache, über die bei uns zu Hause nicht gesprochen wird, höchstens wenn Tante Zeynep zu Besuch ist. Anne und Baba sehen keine Notwendigkeit dafür, da sie davon ausgehen, dass es vor der Ehe für uns sowieso nichts zu verhüten gibt. Komischerweise änderten sie ihre Meinung nicht einmal, als Tayfun so lange mit Franziska zusammen war. Dachten sie wirklich, mein Brüderchen hätte die Brücke noch nicht überquert? Das sagt man so im Türkischen, wenn man zum ersten Mal mit jemandem schläft. Tante Zeynep, die entschieden realistischer dachte, sprach Anne ein paarmal darauf an, aber die wich immer aus, sagte entweder: »Er ist noch zu jung!« oder »Das ist in unserem Glauben verboten!« Sie hörte es überhaupt nicht gern, wie locker Tante Zeynep damit umging. Manchmal, wenn Tayfun die Wohnung verließ, rief sie ihm einfach hinterher: »Benutzt Kondome!« Als ich ihr von meinem Date mit Batu berichtete, fragte sie als Erstes: »Habt ihr geknutscht?« Und gleich danach wollte sie wissen: »Wann wollt ihr Sex haben?« Das war selbst mir ein bisschen zu direkt. Als hätte ich bei der ersten Verabredung daran gedacht, mit ihm zu schlafen.
Übrigens verbietet der Islam nicht, die Pille zu nehmen oder Kondome zu benutzen. Wohlgemerkt in der Ehe, alles andere gilt sowieso als schwere Sünde. Abtreibungen werden als typisches Problem der westlichen Welt betrachtet, das durch den moralischen Verfall der Gesellschaft und die hohe Zahl unehelicher Kinder entstanden ist. Doch auch in unserer Religion sind sie nicht generell verboten. Bis zum vierzigsten beziehungsweise zweiundvierzigsten Schwangerschaftstag, da streiten sich die Rechtsgelehrten, stehen sie zumindest nicht unter Strafe. Danach gelten sie
als Verbrechen, da angenommen wird, dass Embryos spätestens zu diesem Zeitpunkt von einem Engel eine Seele eingehaucht bekommen haben und beginnen, menschliche Organe herauszubilden.
Für meine Großeltern wäre Abtreibung nie in Frage gekommen. Sie denken, wenn ein Kind entsteht, nachdem Mann und Frau miteinander geschlafen haben, ist das Allahs Wille, und dagegen darf man sich nicht wenden. Ich vermute, so sehen das auch meine Eltern. Wir haben nie darüber gesprochen. Für mich ist eine Abtreibung auch alles andere als eine Wunschvorstellung. Würde ich jedoch - nur mal angenommen - in der jetzigen Situation schwanger werden, ich würde sehr gründlich überlegen, ob sich ein Kind mit meinen Zukunftsplänen vereinbaren ließe. Aber zum Glück ist das nur ein Gedankenspiel.
Obwohl, so theoretisch ist diese Thematik für mich gar nicht. In unserer Familie gab es schon eine Abtreibung, oder sagen wir: Es gab mindestens eine, von der ich etwas mitbekommen habe. Eine meiner Tanten wurde vor Jahren ungewollt schwanger und entschied sich für einen Abbruch. Welche es war, verrate ich nicht. Ich glaube, das wäre ihr nicht recht. Sie litt damals sehr darunter. Und dann gab es eine Situation, in der einer meiner Onkel
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