So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
sich heftig mit seiner Frau in die Haare bekam, weil sie heimlich die Pille abgesetzt hatte und schwanger wurde. Dabei wusste sie, dass ihr Mann kein Kind mehr wollte.
In deutschen Familien wird damit wahrscheinlich verschwiegener umgegangen. Bei uns war es ein Fall für den großen Familienrat. Alle erfuhren davon, sodass natürlich auch alle ihre Meinung kundtaten. Mein Onkel war ziemlich wütend und verlangte, dass seine Frau abtreibt. Das
wiederum brachte Großvater in Rage. Er war natürlich strikt dagegen und meinte, meinen Onkel hätte der Teufel gepackt. Es ging turbulent her, sogar von Scheidung wurde gesprochen. Irgendwann beruhigten sich alle wieder, das Kind wurde geboren, ein Junge, und mein Onkel ist jetzt mächtig stolz auf den kleinen Stammhalter.
Seit ich mit dem Leben außerhalb unserer Familie konfrontiert bin, bewege ich mich also in zwei unterschiedlichen Welten. Anfangs, da war ich noch klein, fiel mir das gar nicht auf. Weil ich einfach auf das hörte, was Anne und Baba sagten. Doch je älter ich wurde, desto krasser empfand ich die Gegensätze. Zu Hause pochten Anne und Baba auf die alten Werte und Traditionen, die sie von ihren Vorfahren übernommen hatten, in der Schule versuchten die Lehrer, einen weltoffenen, westlich geprägten Menschen aus mir zu machen. Als ich dann, beeinflusst von beiden Seiten, meine eigene Gedankenwelt entwickelte, wurde mir klar, dass ich niemals nach der meiner Eltern leben würde. Ich kann sogar auf den Tag genau sagen, wann das war, ich muss nur in meinem Tagebuch nachschlagen … hier, der 31. Mai 2006: Wir hatten von der Schule ein Mitteilungsblatt bekommen, das Anne unterschreiben sollte. Darin stand, dass demnächst eine Ärztin in unserer Klasse Aufklärungsunterricht durchführen würde. Für Anne war das ein großes Thema. Das heißt, bisher hatte sie nie mit mir über Sex, Geschlechtskrankheiten oder gar Verhütung gesprochen, das waren, wie gesagt, in unserer Familie absolute Tabuthemen. Aber nun hielt sie dieses offizielle Schreiben von der Schule in der Hand und wollte unbedingt mit mir darüber sprechen.
»Also, ich finde das gut«, begann sie. Ich grinste sie nur an, weil ich merkte, wie sie krampfhaft nach Worten suchte. »Das ist wichtig, das weißt du, oder?« Jetzt nickte ich, grinste aber weiter. Sie dagegen sah mich mit ernsten Augen an, und das machte es noch skurriler. Sollte sie wirklich nicht gewusst haben, dass sie um Jahre zu spät kam? Ich war längst aufgeklärt. Und dann brachte sie den entscheidenden Satz heraus: »Du weißt, das gibt es bei uns erst nach der Hochzeit!«
Es entstand eine Pause. Ich schwieg. Was sollte ich dazu auch sagen? Wie gut kannte mich meine eigene Mutter eigentlich? Glaubte sie tatsächlich, ich würde damit warten, bis ich verheiratet bin?
»Hast du mich verstanden?«, fragte sie. Was wollte sie hören? Erwartete sie, dass ich vor ihr ein heiliges Gelübde ablegte? Darauf hätte sie lange warten können.
Ich quälte mir ein »Jaaahaaa« heraus, das genervt klang und nur dazu gedacht war, dem verkrampften Gespräch ein Ende zu setzen. Warum sollte ich ihr verraten, wie ich wirklich darüber dachte? Sie würde meine Sichtweise sowieso nicht verstehen, sich nicht einmal bemühen, sie wenigstens zu akzeptieren. Ich hatte es vorher schon gespürt, aber dieses merkwürdige Gespräch machte es ein für allemal klar: Anne und Baba leben in ihrer Welt, ich in meiner. Manchmal überschneiden sich die beiden Welten, zwangsläufig, da wir unter demselben Dach leben, auf Dauer aber, da bin ich mir sicher, kann das nicht gut gehen.
Zurzeit hat sich unser Verhältnis etwas entspannt. Mit achtzehn lasse ich mir einfach nicht mehr alles vorschreiben. Davor jedoch gab es Phasen, in denen es ständig zwischen uns krachte. Das lag hauptsächlich daran, dass ich irgendwann
anfing, mir selbst eine Meinung zu bilden und nicht mehr alles so zu sehen, wie Anne und Baba das gerne gehabt hätten. Vieles davon war auf den Kontakt mit meinen Freundinnen zurückzuführen, von denen ich immer hörte, wie viele Freiheiten ihre Eltern ihnen zugestanden, ohne dass sie erst groß darum kämpfen mussten.
Für mich war es ja schon so etwas wie ein Akt der Weltveränderung, Anne davon zu überzeugen, mit mir zu einem Frauenarzt zu gehen, nachdem ich meine Regel bekommen hatte. Alle meine Freundinnen waren längst bei einem gewesen, einige nahmen sogar schon die Pille. Ich musste Anne immer wieder nerven, beinahe zwei Jahre vergingen,
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