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Socrates - Der friedvolle Krieger

Titel: Socrates - Der friedvolle Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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fortfuhr: »Trotz aller unserer Vorsichtsmaßnahmen gelang es einem jungen Mann, sich vor einer Brücke vor die Kutsche zu stellen und etwas, was zunächst aussah wie ein Schneeball, zwischen die Pferde zu werfen. Die Bombe explodierte, verletzte den Zaren aber nur leicht. Seine kaiserliche Hoheit bestand darauf, auszusteigen und nach einem schwerverletzten Kosaken und einem Botenjungen zu sehen. Als der Zar gerade wieder in die Kutsche steigen wollte, sprang ein zweiter Mann auf ihn zu. Es gab eine weitere Explosion. Innerhalb einer Stunde erlagen sowohl der Attentäter als auch unser Väterchen ihren Verletzungen. Der Mann, der die erste Bombe geworfen hatte, verriet seine Genossen. Wir wissen, dass einer der Verschwörer eine junge Frau namens Gelfman war: eine Revolutionärin und Jüdin.«
    Als Sergej die Kapelle verließ, ging er zufällig neben seinem Onkel her. Der Kommandant sah auf ihn hinab und stieß zwischen zusammengepressten Lippen hervor: »Das wäre nicht passiert, wenn dein Vater noch leben würde - nicht, wenn er Dienst gehabt hätte.«
    Kurz darauf hörte Sergej von den Krönungsfeierlichkeiten für Zar Alexander III. und Gerüchte über eine Welle von Pogromen, die in Russland und der Ukraine stattgefunden haben sollten, nachdem sich dort die Nachricht verbreitet hatte, dass eine »Gruppe Juden« Väterchen Zar ermordet hatte. Die Nachricht stellte sich zwar als falsch heraus, aber die Pogrome gingen trotzdem weiter. Die schwangere Gesia Gelfman, die später im Gefängnis sterben sollte, war die einzige Jüdin unter den Revolutionären.
    In der Anstalt wurde hinter vorgehaltener Hand weiterhin über Revolutionäre und Juden getuschelt, besonders unter jenen, die Sakoljew nahe standen. Dieses Gerede machte Sergej wieder bewusst, dass er selbst jüdisches Blut in seinen Adern hatte. In den folgenden Wochen machte er sich immer mehr Sorgen um die Familie Abramowitsch. In diesen gefährlichen Zeiten konnte die Abgelegenheit der Hügel zwar durchaus ein Vorteil für sie sein, aber sie konnte sich auch zu ihrem Nachteil auswirken. Was würde wohl geschehen, wenn eine umherstreifende Patrouille der Kosaken auf eine jüdische Familie mitten im Wald stoßen würde? Sergej musste sie warnen.
     
    In dieser Nacht schlich sich Sergej an den wachhabenden Kadetten vorbei und lief durch den langen Tunnel unter der Anstalt zum See. Er war den Korridor mittlerweile so oft gegangen, dass er dies auch mit verbundenen Augen gekonnt hätte. Und seine Augen hätten genauso gut tatsächlich verbunden sein können, denn der Tunnel war nachts nicht beleuchtet.
    Als Sergej die schwere eiserne Tür aufdrückte, quietschte diese so laut in den Angeln, dass er sich fast vor Schreck auf die Zunge gebissen hätte. Er klemmte ein Holzstück zwischen Tür und Angel, damit sie offen bleiben würde. Dann lief er im Eiltempo über das offene Gelände, bis er zu dem Felsvorsprung kam, der den Anfang des Pfades markierte. Von nun an würde er sich völlig auf seine Erinnerung und seinen Instinkt verlassen müssen. Glücklicherweise war die Frühlingsnacht klar und der zunehmende Mond sorgte für genügend Licht.
    Dieses Mal musste er schneller sein als das letzte Mal. Er konnte nur hoffen, dass er den Weg wiederfinden würde. Nachdem er es geschafft hatte, aus der Kadettenanstalt zu entkommen, ohne dass es jemand bemerkt hatte, sah er sich nun anderen Gefahren gegenüber: Er konnte sich verlaufen oder hungrigen Wölfen über den Weg laufen. Sollte er sich verlaufen, würde er die Schule zwar bei Tageslicht sicher wiederfinden, aber dann wäre seine Abwesenheit längst bemerkt worden. Unerlaubtes Entfernen war ein schweres Vergehen, das schwer bestraft werden würde.
    Einige ältere Kadetten, die sich einmal nachts fortgeschlichen hatten, waren gezwungen worden, Spießruten zu laufen. Sie mussten langsam und mit gesenkten Köpfen zwischen zwei Reihen Kadetten hindurchmarschieren, die sie mit Gerten schlugen. Am Ende der Reihe standen die Instruktoren, die ebenfalls erbarmungslos zuschlugen. Grün und blau geschlagen und blutend wurden die Missetäter dann in Einzelzellen gesteckt, wo sie drei Tage lang weder Wasser noch Nahrung erhielten. Kommandant Iwanow hatte damals gesagt: »Wenn ihr euch unerlaubt von der regulären Truppe entfernen würdet, würde euch weit Schlimmeres passieren.« Niemand hatte es jemals wieder versucht - bis heute.
    Sobald er die Hütte erreicht hätte, würde er den Abramowitschs alles über die Ermordung des

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