Söhne der Erde 19 - Der Tödliche Ring
jetzt wissen wir ja nicht einmal, ob es wirklich notwendig ist, die Erde zu verlassen. Sprich mit Bar Nergal. Vielleicht kommt er zur Vernunft - auch wenn ich es nicht glaube.«
Ciran senkte den Kopf.
Die Art, wie er sich hastig abwandte, verriet den inneren Zwiespalt. Er betrachtete die Priester vielleicht nicht mehr als Götter, aber er vermochte sie auch nicht so zu sehen, wie sie wirklich waren. Wenn er das tat, würde er sie genauso rückhaltlos hassen, wie er ihnen vorher gedient hatte. Denn für das Ungestüm seiner vierzehn Jahre gab es nichts dazwischen.
Cris wartete unter den Bäumen am Rand des Lagers.
»Du darfst ihn nicht fortlassen, Charru«, begann er sofort. »Er wird dem Oberpriester Chans Tod nie verzeihen, er ...«
»Es ist seine Entscheidung, Cris.«
»Aber er ist doch noch ein Kind! Wenn er sich gegen die Priester stellt, wird Bar Nergal ihn umbringen und ...«
»Das weiß er, Cris. Und er ist erwachsen genug, um seinen eigenen Weg zu gehen. Wir können ihn nicht zwingen.«
»Warum nicht? Wir ...«
»Wenn wir das tun, wird er uns hassen. Er ist frei, Cris. Nach allem, was geschehen ist, hat niemand mehr das Recht, ihn als unmündiges Kind zu behandeln, und das weiß er.«
Cris nickte schweigend.
Eine halbe Stunde später sah er zu, wie Charru, Brass und der Junge in eins der Beiboote kletterten. Ciran war während des ganzen Fluges blaß und schweigsam. Als das Tal auftauchte und das Boot langsam nach unten sank, zogen sich seine Lider erschrocken auseinander.
Er wußte von den toten Clones, aber es war etwas anderes, die verkohlten Leichen mit eigenen Augen zu sehen.
Charru landete auf der anderen Seite des Tals in der Nähe des Flugzeugs. Zwischen den Felsen an den verschneiten Hängen konnte er Bewegung erkennen: Yetis, die scheinbar ziellos herumirrten, sich mühsam vorwärts schleppten, schon vom Tode gezeichnet. Charru schauerte bei dem Gedanken, daß eine einzige Bombe genügt hatte, um so viel Leben zu vernichten. Er verstand die Furcht der Marsianer - auch wenn ihr Gegenschlag ungleich grausamer und unmenschlicher war.
»Du mußt dich beeilen, Ciran«, sagte er. »Geh so schnell wie möglich in das Flugzeug, und wenn du in der Luft bist, nimm das Mittel, das dir der marsianische Arzt gegeben hat. Er meint, daß keine Gefahr für dich besteht, aber besser ist besser.«
»Arzt«, sagte Ciran verächtlich. »Er wollte zwei Sterbende umbringen, nur weil ...«
»Ich weiß. - Bist du wirklich entschlossen?«
»Ja.« Ciran zögerte, seine Augen flackerten flüchtig. »Ich danke euch«, setzte er leise hinzu. »Und - sag' deinem Bruder und Dayel, daß es mir leid tut, was ich mit ihnen vorhatte. Sag' ihnen, daß ich es nicht noch einmal tun würde.«
Rasch stieß der Junge die Luke auf und sprang aus dem Boot.
Charru und Brass sahen zu, wie er auf das silbrig schimmernde Flugzeug zulief und sich in die Kanzel zog. Sie wußten, daß er eine Weile für die Startvorbereitungen brauchen würde. Brass massierte nachdenklich sein Kinn mit Daumen und Zeigefinger.
»Ich weiß nicht«, murmelte er. »Der Junge hat sich ziemlich verändert.«
»Ja ...«
»So verändert, daß man ihn besser nicht mehr in Bar Nergals Nähe lassen würde, meine ich. Mir gefällt das nicht.«
»Mir auch nicht. Aber ich weiß, daß wir ihn nicht mit Gewalt hindern durften. Er muß zurück. Nicht weil er in der Ruinenstadt zu Hause ist, sondern weil er Klarheit gewinnen muß, wenn er je mit sich selbst ins Reine kommen will.«
Brass zuckte zweifelnd die Schultern.
Sein Blick hing an dem Flugzeug, dessen Triebwerke jetzt anliefen. Ein Zittern durchlief die Maschine. Langsam begann sie zu rollen und wurde in eine Kehre gezogen, um freie Bahn für den Start zu haben.
Das Dröhnen schwoll zum fauchenden, durchdringenden Pfeifen an. Staub wirbelte auf. Die Maschine beschleunigte, löste sich vom Boden, und wenig später stieg sie als silberner Pfeil in den blauen Himmel über den Berggipfeln.
Charru sah ihr lange nach.
Er wußte, sie hatten Ciran nicht halten können. Aber für einen Augenblick überkam ihn das Gefühl, daß sie zuschauten, wie der Junge sehenden Auges in sein Verderben rannte.
IX.
John Coradi hatte eine schlaflose Nacht hinter sich, als er in die Kanzel der »Solaris III« gebracht wurde.
Beryl von Schun, Shaara Camelo und ein paar andere beschäftigten sich seit Stunden mit der fremdartigen Technik des Schiffs. Zwischen der alten »Terra« und dem kleinen marsianischen Aufklärer lag
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