Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
der Tod bloße Theorie, und so hatte sie nicht geahnt, wie schnell er kommen konnte. Bis zu ihrem Todestag hatte Marie das Blut des Goldenen ausgeschlagen. Das, wonach Saint-Germain seit Jahrzehnten verlangte, hatte sie nie für sich beansprucht. Dabei reichten wenige Tropfen, um das Altern zu drosseln. Mehr erhielt Saint-Germain nicht. Vergeblich wartete er auf das Angebot des Goldenen, einen Springquell seines Blutes, das den Tod endgültig bannen würde. Die Hoffnung darauf war in weite Ferne gerückt. Saint-Germain drohte in Ungnade zu fallen.
»Du hast dich über meinen ausdrücklichen Willen hinweggesetzt, Aymar.«
Der sanfte Tonfall flößte Saint-Germain keine Zuversicht ein. Wieder schluckte er. So ausdrücklich hatte der Goldene seinen Willen nun auch wieder nicht geäußert. Es war genügend Raum für Auslegungen geblieben. Ausflüchte fruchteten nichts, die Wahrheit wiederum konnte unangenehme Konsequenzen nach sich ziehen. Saint-Germain hatte sich zu seiner Tat hinreißen lassen, um den Großmeister der Vampire aus seiner Lethargie zu holen. Aber das würde dieser nicht hören wollen. Also hielt Saint-Germain den Mund. Das gelang ihm so lange, bis ein Augenpaar von intensivem Türkis sich auf ihn richtete.
»Es war ein … Scherz, Goldener.«
»Ein Scherz, der mich zu einem Wortbrüchigen macht. Zwischen Juvenal und mir besteht eine Abmachung. Anstatt dich daran zu halten, legst du einen seiner Söhne in Ketten und verletzt ihn mit einem Skalpell.«
Er wusste Bescheid. Wann wusste der Goldene einmal nichts über die Vorgänge in Paris? Es war schließlich seine Stadt, obwohl er das vergessen hatte. Er beschränkte sich auf sein Haus. Darin befand sich alles, was er besaß. Es war nicht viel. Im Grunde war es nichts. Saint-Germain musterte das ihm zugewandte Profil. Es gehörte einem Gott, atemberaubend fremd, selbst für seinen treuesten Gefolgsmann unter den Sterblichen. Das Licht einer Kerze schlug goldene Funken in den schulterlangen Locken des Vampirs. Saint-Germain hielt es für angebracht, auf die Knie zu sinken. Sein Plan war gescheitert, und er glaubte, den Grund dafür zu kennen. Die kleine Mamsell in diesem verfluchten Bordell hatte schlichtweg alles vermasselt.
»Ich wollte Cassian de Garou einen Denkzettel verpassen, Goldener. Er verdient es nicht, Eure Stadt sein Revier zu nennen. Er gebärdet sich wie ein streunender Köter. Weiberröcke haben auf ihn dieselbe Wirkung wie eine Möhre auf einen hungrigen Esel. Etwas anderes interessiert ihn nicht.«
Über diesen Vergleich ging der Goldene hinweg. Ohne eine Miene zu verziehen, fixierte er seinen Getreuen. »Dir steht kein Urteil zu, Mensch. Cassian ist kein Esel. Er gehört einer der ältesten Sippen an. Die Werwölfe sind würdige Gegner und verdienen Achtung. Insbesondere von einem Sterblichen, der nichts versteht von dem, was sie antreibt und wozu sie fähig sind.«
Saint-Germain presste die Lippen aufeinander. Der Rückzug des Goldenen war vollständig, und so überließ er kampflos einem Werwolf sein Revier. Cassian de Garou war nicht wie sein Vater, mit ihm hätte der Vampir leichtes Spiel gehabt. Aber nein, der Großmeister der Vampire war des Kämpfens und allem anderen überdrüssig geworden. Sogar an seinen Blutquellen fand er keinen besonderen Gefallen. Er nährte sich mit Widerwillen und nicht mit der ihm zustehenden Lust. Diese hatte er mit Marie Brel verloren.
»Ich dulde keine weiteren Zwischenfälle, Aymar. Es ist fraglich, ob Juvenal und seine Söhne den Kampf gegen die Namenlosen überleben. Ich gedenke nicht, ihnen dabei in die Quere zu kommen.«
»Ohne Eure Unterstützung werden sie scheitern.«
Zumindest diese Aussicht verschaffte Saint-Germain Genugtuung. Der Krieg zwischen Vampiren und Werwölfen mochte nicht wieder aufflammen, sein Plan war gescheitert, aber die Tatsachen blieben bestehen. Die Namenlosen würden das haarige Problem endgültig beseitigen.
»Das wird sich zeigen.«
»Sollten sie in den Katakomben auf sie stoßen, endet der Kampf, ehe er begonnen hat. Unter der Erde sind die Werwölfe unterlegen.«
Je mehr er darüber redete, desto besser gefiel Saint-Germain dieser Gedanke. Seine eigene Ungnade vergessend, schmunzelte er in sich hinein.
»Und was wird dann sein, Aymar?«
»Dann, Goldener, gehört Paris Euch allein.«
Vor Frohlocken bebte Saint-Germains Stimme. Wenn dies geschah, könnte ein Wunder geschehen. Was, wenn nicht diese Stadt mit ihren Menschen, könnte den Goldenen dazu
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