Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
der ihre Absicht erahnte. „Gönn ihm seine Freiheit oder wenigstens das Gefühl, sie jederzeit erlangen zu können. Zumal wir beide noch etwas zu erledigen haben, auf das du dich konzentrieren musst. Tizzio.“
„Tizzio verachtet mich und wird mir nicht zuhören.“
„Der rote Wolf giert nach Rache. Nur glaubt er nicht, dass du sie ihm geben kannst. Somit wirst du ihn – verflixt noch eins – vom Gegenteil überzeugen.“
Allmählich war sie dieser Standpauke überdrüssig. „Wenn du mich weiter traktierst, werde ich dich in einen Wurm verwandeln und unter dem Absatz zertreten, ob du nun ein Ewiger bist oder nicht.“
„Prächtig! Nichts anderes war zu erwarten. Vergeude deine Kräfte ruhig mit Albernheiten. Bitte, verwandel mich in einen Wurm, sofern du das überhaupt vermagst.“
Sie maß ihn ab. „Was ist bloß los mit dir?“
Die Gesichtszüge eines aufgebrachten Todesengels kamen ihr sehr nahe. „Das teile ich dir gern mit. Ich bin es leid, dir zuzusehen, Aurora Braglia. Du lässt eine Bombe in meinem Kopf platzen, damit ich Zeuge eines Liebesstreits werde. Gebührt das einer Strega? Ich bin bereit, dich im Kampf gegen die Larvae zu unterstützen, aber ich frage mich ernsthaft, ob du verstehst, wiewichtig mir mein Anliegen ist.“
„Ich weiß es sehr wohl.“
„Dann sei so gut und nutz deine Fähigkeiten in der nächsten Stunde dazu, Tizzio zu überzeugen“, zischte er ihr ins Gesicht. „Du und ich werden ihm so lange um die Beine streichen, bis er in die Knie geht, einem Frieden mit Selene zustimmt und ihr eure Rache bekommt.“
Seufzend sah sie ein letztes Mal aus dem Fenster. Der Garten war leer. „In Ordnung, so machen wir es.“
Mit den Rudeln seiner Sippe war Ruben häufig durch die Nacht gerannt, doch angeführt hatte er andere Wölfe noch nicht. Sie jagten mit ihm über die weiten Hügel vor Rom, durch den Wunsch vereint, den Palazzo weit hinter sich zu lassen. Schnell hatten sie die Fährte eines Wildschweins aufgespürt und waren ihr gefolgt. Den Eber hatten sie nicht einholen können. Stattdessen waren sie auf einen Schafpferch gestoßen und hatten unter den Tieren gewütet. Ruben würde den Schaden begleichen, indem er dem Bauern einen Boten mit Geld schickte. Der Vorwand einer plötzlichen Erbschaft zog immer, und der Mann würde seinen Verlust ersetzen können.
Die stundenlange Hatz und ein voller Magen hoben seine Stimmung insoweit, dass er bereit war, Nachsicht zu üben. Was ihm an Gemütsruhe noch fehlte, verlieh ihm ein langer Schluck aus einer neuen Flasche mit Opium versetztem Wein, den er in einer Kaschemme besorgt hatte. Darauf gepfiffen, was Aurora davon hielt. Ohnehin schlief sie und hatte von seiner Rückkehr nichts mitbekommen. Seine Muskeln entkrampften, während er absackte in eine Welt von der Weichheit einer Puderquaste. Er spülte sich den strengen Wolfsgeruch von der Haut, stellte sich vor einen Spiegel und schäumte sich Wangen und Kinn ein.
Mitten in seine Rasur platzte Aurora herein. Ein kleiner Ausschnitt des Spiegels zeigte sie auf der Schwelle zum Schlafzimmer. Das lächerlich weite Nachthemd hing an ihr hinab wie ein Sack. Ihr Haar war verwuschelt, und sie nestelte unsicher am hochgeschlossenen Kragen des Nachthemdes. Nichts an ihr ließ auf den unbelehrbaren Willen einer Hexe schließen. Sie hatte sich in seinem Herzen eingenistet, nur um achtlos darauf herumzutrampeln. Aber er war gewappnet. Ein falsches Wort von ihr, und er würde seine Satteltaschen nehmen und verschwinden. So einfach war das. Das einzig Störende daran war das leichte Beben seiner Finger, sobald er daran dachte, sie zu verlassen.
„Ebenso gut könnte ich mir gleich hier die Kehle aufschlitzen“, feuerte er auf sie ab.
Ihre Augen wurden groß. Sie sah auf seine Hand und die Klinge des Rasiermessers. Er setzte sie an und zog sie nach oben. Schaum und Bartstoppeln blieben daran kleben. Wild plätscherte er in der Waschschüssel, spülte die Klinge sauber und setzte seine Rasur fort. Aurora wallte in ihrem Nachthemd auf ihn zu gleich einem Gespenst. Trotz des Opiums kehrte seine Unruhe zurück.
„Ich bin so froh und … und dankbar, dich zu sehen, Ruben. Bitte verzeih mir.“
Exakt daran hatte er gedacht. Aber, zur Hölle, sie war ihm in den Rücken gefallen! Eine Bitte und traurige Augen reichten nicht aus, um ihn das Vergessen zu machen. Stumm beendete er seine Rasur. Schließlich waren Kinn und Wangen glatt. Er wischte die Feuchtigkeit fort und drehte sich zu ihr
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