Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
selten geboren.“
Mica gab sie frei und trat zurück. „Sie hat sich verändert, und du wirst dich damit abfinden, Mutter.“
Selene bohrte ihre spitzen Nägel in ihre Wangen. „Du hast sie hinausgeschickt in eine Nacht, zu der sie nicht mehr gehört. Die Larvae werden sie holen und ihr begonnenes Werk an ihr vollenden.“
„Ich bezweifle, dass die Larvae einen neuerlichen Angriff unternehmen werden, nachdem sie erst kürzlich eine Niederlage einstecken mussten. Berenike ist dort sicherer als hier, wo ihre eigene Mutter darüber nachdenkt, ob sie ihr den Todesbiss versetzen soll.“
„Es hätte sie auch retten können“, murmelte Selene und erhob sich.
Die Arme um sich geschlungen trat sie in die offenen Flügeltüren und bot sich dem Nachtfrost dar. Das Mondlicht fiel auf das Relief eines jungen Mädchens, das einst Blumen im Haar getragen und inmitten seiner Herde im Blutrausch getanzt hatte. Wehmut schwang in der Melodie ihrer Worte.
„Lange Zeit nannten sie mich die Göttin des Mondes. Obwohl dieses trügerische Gestirn niemals dem Willen eines Geschöpfes der Nacht folgte. Dieselbe Nacht hat mir mein Kind genommen und mir etwas zurückgegeben, von dem ich nicht weiß, was es ist. Eine Ewige wird zum Spielball der Sterblichen. Der Tod wäre besser als die Schwäche, mit der sie von nun an leben soll.“
„Sie hat lediglich Obst probiert. Das ist eine Schwäche, die ihr höchstens Magengrimmen einträgt. Mehr noch kann es zu ihrer Stärke werden. Auf diese Weise kann sie unter den Sterblichen sein, bei Tag und Nacht, mit ihnen essen und wird keinen Verdacht erregen. Ihre Fänge kann sie verbergen.“
„Wozu sollte sie unter den Sterblichen weilen wollen, wenn sie deren Blut nicht mehr braucht? Alle werden sich von meinem Kind lossagen. Sie wird allein sein. Ganz allein. So wie der Mond am Firmament, ein einsames Gestirn.“
Mica blieb stumm. Das würde Berenike nicht. Sollte Selene sich von ihr abwenden, würde er sie mit nach Paris nehmen. Er war weit darüber hinaus, sich den Kopf über Absonderlichkeiten zu zerbrechen oder mit verlorenen Traditionen zu hadern. Eine Last mehr oder weniger auf seinen Schultern war in seinem endlosen Dasein nicht relevant.
Fünf Flaschen Rotwein hatte es gebraucht, damit Ruben halbwegs betrunken war. Steifbeinig ging er in das Gelass ohne Fenster, fiel schwer in die Kissen und bemerkte erst dann, dass es Veränderungen gegeben hatte. Ein Teppich war am Boden ausgerollt. Ihm gegenüber stand ein niedriger Tisch mit zwei Sesseln und es gab mehr Licht als es seinen Augen wohl tat. Die Riegel schnappten zu, und Aurora war noch immer bei ihm. Er köpfte die sechste Rotweinflasche, trank und beobachtete sie über die Flasche hinweg. Er sah doppelt und setzte ab. Er sah noch immer doppelt. Zwei Mal Aurora mit zwei dicken Büchern vor sich an zwei Tischen. Er trank weiter. Der Alkohol würde allzu bald verfliegen. Sobald es dunkel wurde, würde seine Unruhe zurückkehren und die Bestie in ihm erwachen. Wie in der letzten Nacht.
Schwerfällig kämpfte er sich auf die Beine, stelzte zur Tür, hieb dagegen und rief nach Pico.
„Das nützt nichts. Ich habe ihn fortgeschickt. Niemand wird kommen, um die Riegel zu öffnen“, sagte sie in seinem Rücken.
„Was?“
„Ich werde bei dir bleiben.“
Der Wein wollte ihm hochkommen. Sie konnte nicht bei ihm bleiben! In aller Seelenruhe schlug sie ihr Grimoire auf und begann darin zu schmökern. Noch war es hell. Er stolperte zurück zu seinem Lager, um über triftige Argumente nachzudenken, die sie überzeugen mussten. Bevor ihm eines einfiel, kippte er zur Seite um. Der Wein wirkte besser als vermutet oder es war alles zu viel gewesen oder beides zusammen.
„Hör zu, was hier steht.“
Ihre Stimme streichelte über ihn hinweg. Er sah sie an und hörte zu, so gut es ihm sein Rausch erlaubte.
„Meine Ahnin Cornelia hat ihren wahren Namen abgelegt, vergessen hat sie ihn nicht. Auf dieser Seite hat sie all diejenigen unserer Gilde notiert, die vor ihr kamen. Die Wurzeln der Braglia reichen weiter zurück, als ich dachte. Natürlich hießen sie damals noch nicht Braglia.“
In seinen Ohren wurde das Knistern des Pergaments zum Bröckeln von Mauerwerk. Der Abend nahte und mit ihm erwachten die Sinne der Bestie. Er sah nicht länger doppelt, sondern so klar, als würde Aurora unter einem Brennglas sitzen.
„Ich wusste, dass etwas zu finden ist, aber damit habe ich nicht gerechnet. Cornelia hat eine Zeichnung
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