Söhne der Luna 2 - Die Braut des Wolfes
verschüttete Untergeschosse.
Die Ruine war von unübersichtlicher Größe. Von den Rängen sah man auf eine Ellipse, die von den Überresten hoher Steinwände durchschnitten war. Die einstige Aufteilung der Zellen, die unter der Arena gelegen hatten, war größtenteils noch nachvollziehbar. Inmitten dieser Mauerreste schienen die Ränge bis in den Himmel zu reichen. Aurora stellte sie sich mit Zuschauern besetzt vor. Einer neben dem anderen hatten sie einst gesessen und auf blutrünstige Unterhaltung gewartet. Der Innenraum, von dem aus sie nach oben sah, wurde vor langer Zeit mit Wasser geflutet, um Seeschlachten der römischen Legionen nachzustellen. Tote über Tote hatten die Spiele gefordert. Blutbäder waren es gewesen, zur Belustigung der römischen Bürger. Unbehagen setzte sich zwischen Auroras Schulterblättern fest.
Sie fand eine Treppe und erklomm die Ränge. Wind zerrte an ihr und traf trotz des Innenpelzes des Mantels bis auf ihre Haut. Für November war es ungewöhnlich kalt. In der Luft hing sogar ein Hauch von Schnee, obwohl es in Rom selten schneite. Sie rieb die behandschuhten Hände aneinander und zog den Schal über ihre Nase. Weiter unten murrte Tizzio weiter über ihren Eigennutz und die Sinnlosigkeit ihrer Suche. Ein entferntes, unverständliches Brummeln. Ohne Zweifel war es derber geworden, nachdem sie davongegangen war. Jeder einzelne seiner Flüche galt ihr. Sie störte sich nicht daran. Glück war ein seltenes Gut. Es hielt sie bei Tage auf den Beinen, ließ Tizzios Vorwürfe an ihr abprallen und vertrieb in den Nächten die Müdigkeit. Außerdem machte es Hunger.
Aus ihrer Manteltasche zog sie etwas Brot und Käse und begann zu essen. Ihr Blick schweifte auf der Suche nach Ruben über die grauen Steine. Sie entdeckte ihn mit einer Eisenstange vor einem Trümmerstück. Außer seinem Hemd und der zerschlissenen Reitlederhose schützte ihn nichts vor der Kälte. Ohne Hilfe wuchtete er den Brocken beiseite, wohl, weil er dahinter einen Einstieg vermutete. Muskeln auf Schultern und Armen arbeiteten, als er sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Eisenstange stemmte. Der Stein kippte zur Seite und gab ein Loch frei. Ruben lehnte sich hinein. Auf dem Hemdrücken zeichnete sich eine schmale Schweißspur ab. Anstelle von Brot und Käse glaubte Aurora, auf ihrer Zunge seine Schweißtropfen zu schmecken, herb und harzig.
Sie lächelte in sich hinein. Ruben hatte sich bisher nicht in einen Wolf verwandelt, um vor dem Kamin zu schlafen, sondern teilte mit ihr das Bett, geleitet von der abwegigen Ansicht, solange sie nicht zum Äußersten gingen, würde Tizzio nichts mitbekommen und sich somit auch nicht herausgefordert fühlen. Was es alles an Frivolitäten gab, ohne dabei bis zum Äußersten zu gehen, fand sie gerade heraus. Rubens Einfallsreichtum war eine Offenbarung an sinnlichen Reizen. Ihr brachte es tiefe Befriedigung, ihn hingegen brachte es eher durcheinander. Während sie seine Finessen genoss, konnte er allmählich mit Tizzios Launen mithalten. Übermüdet und verärgert von seinem Mangel an Disziplin, der ihn daran hinderte, die Finger von ihr zu lassen, steckte er voll unausgelebter Energie. Lange würde er es nicht mehr durchhalten.
Das Loch, in das er sich hineingezwängt hatte, schien nirgendwo hinzuführen. Er zog sich zurück und entlud seinen Missmut an dem Gestein, das er beiseite gewälzt hatte. Mit aller Wucht trat er dagegen. Aurora verzog das Gesicht. Hatte bestimmt wehgetan. Da er sich unbeobachtet glaubte, hieb er noch einmal mit der Faust darauf ein, bevor er die Hand und den Fuß schlenkerte. Eindeutig zu viel Energie. Eine Woge aus Liebe stieg in ihr auf. Er schien es zu spüren, blickte über die Ränge und entdeckte sie. Regelrecht witternd hob er den Kopf. Still stand er da, während der Wind in seinem Haar spielte und sein Hemd blähte. Ihre Blicke trafen sich, saugten sich aneinander fest. Die Macht, die sie über ihn besaß, wandelte sich in Schwäche und machte ihre Knie weich. Sein Hunger nach ihr überbrückte die Distanz, brannte eine unsichtbare Spur zu ihr und wurde zu einem Sog.
Sie könnte zu ihm hinabsteigen, im Schutz der hohen Steine wären sie unbeobachtet. Tizzio und sein Rudel würden nichts mitbekommen und der Wind würde seine Marke fortwehen. Die Vorstellung, ihn heimlich unter freiem Himmel in sich aufzunehmen, trieb Hitze in ihre Wangen. Sie wollte ihn spüren, so nah wie vor einigen Nächten, an der geheimen empfindsamen Stelle in ihrem
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