Söhne der Rose - Die Zeit ist aus den Fugen- (Gay Phantasy) (German Edition)
Entfernung.
Die Dame ist in Gefahr.
Wie die Geräusche, verblassten nun auch die Menschen um mich herum. Die Musik verstummte, das Licht wurde kälter, die süßlich schwere Luft verlor an Substanz.
„Julian, mein Liebling. Wie ich mich freue, dass du gekommen bist.“
Erschrocken drehte ich mich um. Dort saß die elegant gekleidete Frau auf einem einzelnen, wundervollen Barock-Stuhl inmitten des Saals. Ihre großen, hellbraunen Augen vermittelten Güte und heimliche Schläue von der Art, die man nie gegen, nur für Menschen einsetzt. Durch ihr aufrichtiges Lächeln erinnerte sie mich beinahe ein bisschen an Alain; ein Lächeln, dem man nur schwer etwas abschlagen konnte. Aber es passte zu ihrem freundlichen Gesicht, das trotz ihres Alters von vielleicht fünfzig Jahren frisch und bildhübsch aussah.
Schatten von an den Fenstern vorbeifliegenden Vögeln huschten über den Parkettboden. Eine geruchlose Brise blähte die Gardinen hinter ihr, ließ sie langsam tanzen wie verliebte Paare von Gespenstern, zu einer stummen Musik. Automatisch blickte ich durch die Fenster hinter ihr, aber was ich sah, verstand ich nicht. Der Saal war hell erleuchtet, obwohl die Kerzen verschwunden und keine Lampen eingeschaltet waren. Auch der Garten war durchflutet von strahlender Helligkeit; kein warmes Licht, sondern eher der Art, wie man es vom Spätsommer kennt, wenn die Sonne so tief vor einem steht, dass zwar alles gleißend hell erscheint, aber man trotzdem nur dunkle, harte Umrisse erkennt, weil man geblendet wird.
Und genau hinter der großen Hecke begann absolute Finsternis. Nachts ist es niemals wirklich dunkel; es gibt den Mond, die Sterne, die Beleuchtung der Städte, sogar Wolken reflektieren ein wenig Resthelligkeit. Dort aber war nichts – gar nichts. Nur abgrundtiefe, unendliche Schwärze.
Ich stand einfach nur da und sagte nichts. Fragen hätte ich genug gehabt, zum Beispiel, wo ich war, wann es war – eine Frage, die gerade in der letzten Zeit immer mehr an Wert gewonnen hatte –, wer sie war und was ich dort tat. Aber ich blickte sie nur stumm an, in einer Mischung aus Ehrfurcht und Freude, ohne zu wissen, was diese Gefühle auslöste.
Dina lag auf ihrem Schoß und hob verschlafen den kleinen Kopf zwischen den Falten ihres wallenden Kleides empor. Seit unserer Abreise hatte ich nicht mehr an sie gedacht. War sie mit der Villa verschwunden oder weggelaufen? Oh Gott, hatte ich sie umgebracht, weil ich nicht dafür gesorgt hatte, dass sie mit den anderen zusammen das Grundstück verließ, als ich es verinnerlichte ?
„Komm ein wenig näher, mein Junge. Dann kann ich meine Stimme schonen. Keine Angst.“
Sie wirkte leicht amüsiert, vermutlich weil sie genau wusste, dass es das war: Angst.
Und dennoch, ich trat an ihren Stuhl und ging in die Hocke, damit sie nicht zu mir aufsehen musste. Irgendwie erschien mir das passender.
„Ich danke dir. Du bist ein lieber Junge.“
Dina streckte sich und sprang geschickt von ihrem Schlafplatz. Mit ihren katzenhaften, flüssigen Bewegungen strich sie mir um die Beine, immer wieder der Bahn einer gekippten Acht folgend, bis ich sie streichelte. Ich war froh, sie hier zu sehen und ihrem Schnurren nach zu urteilen, beruhte dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit. Die elegante Frau legte ihren Kopf leicht schief, während sie uns beobachtete.
„Na so etwas. Da scheint ja noch jemand glücklich über dein Erscheinen zu sein, Julian. Sieh nur, wie sie sich freut.“ Dann lachte sie freundlich.
„Ich habe vergessen, sie mitzunehmen“, stammelte ich plötzlich, als würde mein Mund seinen eigenen Willen haben. „Es tut mir so leid.“
„Du musst dir keine Gedanken um sie machen, im Gegenteil. Sie war um dich besorgt. Dummes Kätzchen, ich habe dir doch gesagt, dass wir uns auf unseren Jungen verlassen können. Ach, so sind sie halt, immer in Sorge um Lebewesen, die weniger als neun Leben haben.“
Ich musste ein wenig lachen und die Frau stimmte mit ein. Es brach das Eis aus Furcht, wie es ihre Absicht gewesen war, dessen bin ich mir sicher.
„Darf ich fragen, wer Sie sind und was ich hier mache, Ma’am?“
„Oh, du bist aber im Besitz eines höflichen Wortschatzes. So etwas habe ich bereits häufiger nicht mehr gehört.“
Sie hatte häufiger , nicht länger gesagt , dachte ich.
„Ich bin Madame Rosalyn, aber du darfst natürlich Rose zu mir sagen.“
Und da endlich schlossen sich die Synapsen, stürzten die Dämme, die so lange die Erkenntnis gestaut
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