Soehne des Lichts
stirbst. Jeder sinnlos vergeudete Tropfen Hexenblut ist einer zu viel, und du wirst dringender gebraucht als ich. Ich werde dich beschützen, mit meinem Leben, wenn es sein muss.“
„Lass mich los!“, schrie Inani. Sie versuchte sich zu befreien, bis sie ihre Kräfte verließen. Schlaff hing sie in Ylankas Griff, suchte weinend das Gesicht ihrer Mutter.
Die Flammen schlugen hoch, gierig züngelten sie über das trockene Holz. Die kreischende, johlende Menge wartete gespannt, dass das Feuer endlich die Hexe verbrennen würde, Bislang war es nur der Rauch, der Shora quälte und ihren Atem stahl. Beinahe blind vor Tränen bemerkte Inani die Vielzahl von Vögeln, die über Roen Orm kreisten – Raben, Eulen, Adler, Falken ... Sie bemerkte Schlangen in Mauernischen und Katzen auf den Dächern. Die Dunklen Schwestern waren gekommen, um Abschied zu nehmen.
In dem Moment, als Shora aufschrie, als die ersten Flammenzungen nach ihren Füßen leckten, geriet die Menge der Zuschauer plötzlich in Bewegung. Eine schmale Gestalt drängte voran, durchbrach rücksichtslos den Ring der Sonnenpriester, entging den Händen, die nach ihr griffen. Ein Schleier fiel zu Boden, dann sprang die Gestalt auf den Scheiterhaufen.
„Alanée“, wisperte Inani. Ja, es war Alanée, so alt und zerfallen, dass es unmöglich schien, wie sie überhaupt noch lebendig sein konnte. Sie umarmte Shora, und mit einem Mal wurde für Inani alles so klar, als gäbe es weder die Flammen noch die trennende Entfernung. Sie sah, wie Shora und Alanée einander küssten und sich hin und her wiegten, die uralten Worte des Todesrituals gemeinsam sprachen, die nur die Töchter der Dunkelheit kannten. Tonlos wisperte Inani sie mit:
„Vergangen ist die Nacht, verronnen ist die Kraft, verdorrt die Seele, verfallen der Leib. Gib den Todeskuss und setze mich frei, Schwester der Dunkelheit. Binde meine Augen, nimm mein Haar. Vollbringe mein Lebenswerk, und ich werde sitzen zu Füßen der Göttin, erwarte dich dort, bis auch du zu uns kommst.“
Der Todeskuss, das heiligste aller Rituale. Shora und Alanée starben, noch bevor die Flammen über sie zusammenschlagen konnten. Die Priester ahnten nichts davon. Sie starrten lediglich grimmig auf die beiden Leichen und dankten Ti, weil gleich zwei Hexen an diesem Tag ihr Leben gelassen hatten.
Plötzlich fuhr Rynwolf herum. Sein Kopf ruckte mal hierhin, mal dorthin, als suche er etwas, bis er eine Taube fixierte, die hoch über ihm auf der Tempelmauer hockte.
Inani und Ylanka begriffen im gleichen Moment, wer dort saß, wessen verborgene Präsenz der Erzpriester gespürt haben musste. Inani versuchte, sich freizukämpfen, zu ihrer Freundin zu gelangen – nicht Corin, das durfte nicht geschehen! Doch Ylanka rang sie mit schierer Körperkraft nieder und drückte sie zu Boden.
„Ich ahnte, dass ich heute sterben würde, schon als Kythara zu mir kam und mich bat, dich vor Dummheiten zu beschützen!“, knurrte Ylanka düster. Ihre Augen funkelten voller Vorfreude. „Mein Lebenswerk ist garantiert nicht erfüllt, aber das hier lasse ich mir nicht entgehen! Sei bereit, Inani, bleib nicht stehen, um mir beim Tanzen zuzuschauen. Flieh, wenn es dir möglich ist! Und wag es ja nicht, mich retten zu wollen!“ Sie zog ein Messer, schnitt ihren Zopf auf Schulterhöhe ab und warf Inani die
kastanienbraunen Flechten zu. „Gib das meiner Tochter, vollführt gemeinsam das Ritual. Sag ihr, geliebt habe ich sie nie, doch es gibt niemanden, für den ich es mir mehr gewünscht hätte, lieben zu können!“
Rynwolf hatte bereits einen Bannfluch auf die Taube geworfen, sie konnte ihm nicht mehr davon flattern. Bevor er allerdings Corin zwingen konnte, wieder menschliche Gestalt anzunehmen, enttarnte sich plötzlich eine viel stärkere Präsenz. Alle Priester fuhren herum, starrten fassungslos auf die lachende Hexe, die mitten unter ihnen aufgetaucht war.
Ylanka riss sich ihren Umhang von den Schultern, schleuderte das schwarze Stück Stoff über die Taube und zerstörte so den Bann. Sofort griff Rynwolf sie an, er wollte einen Flammenstrahl nach ihr werfen. Ylanka war zu schnell für ihn: Sie wich elegant aus, die magische Energie traf die Menge und tötete Unbeteiligte. Brüllendes Chaos entstand, fliehende, schreiende, weinende Menschen, brennende Körper, die den Tod auf ihren Nächsten übertrugen.
„Seid vorsichtig, Brüder, sie nutzt die Schuldlosen als Schild! Schlagt nur magisch nach ihr, wenn sie ungedeckt ist!“ Mit
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