Soehne des Lichts
leicht. Nie wieder wollte sie sich selbst verlieren, eher riskierte sie, sich lächerlich zu machen, indem sie sich wie eine zwölfjährige Junghexe verlief. Inani atmete auf, als sie sie die Kapelle endlich sichtete: Ein großzügiger Anbau, der ähnlich gestaltet war wie der Palast. Sonnensymbole zeigten, welcher Gott hier verehrt wurde.
Inani näherte sich lautlos. Man hatte ihr versichert, Cero wäre zu dieser Stunde hier und betete, wie jeden Tag zu Sonnenauf- und untergang. Ein Blick zeigte ihr, der Fürst war allein, kein Mensch in ihrer Nähe. Unbemerkt näherte sie sich ihm, bis sie ihn genau studieren konnte, verborgen von einer Säule. Sollte Cero oder jemand anders auf sie aufmerksam werden, hatte sie die Altartücher als Ausrede, dass sie an diesem Ort sein durfte.
Was sie sah, gefiel ihr soweit: Ein schlanker, athletisch gebauter Mann von etwa fünfzig Jahren kniete auf den Marmorfliesen und betete still zu seinem Gott. Seine Kleidung war aus erlesenen Stoffen, doch schlicht geschnitten, Er trug keinerlei Schmuck, nichts deutete darauf hin, dass er sich in irgendeiner Weise gehen ließ. Dies deckte sich mit den Erzählungen der Wäscherinnen, die Inani voller Bewunderung von ihrem Herrn erzählt hatten: Ein gottesfürchtiger Mann, der täglich hart arbeitete, in den Ställen, im Hafen, zusammen mit seinen Kriegern. Ein Mann des Geistes und des Schwertes. Er war streng mit seinen Untergebenen, aber immer gerecht. Diebstahl oder Faulheit wurde bestraft, gute Arbeit stets belohnt. Ein Fürst, der sich mit Arbeitern ebenso wie mit Gelehrten umgab, mit Priestern, mit Dichtern.
Ein Mann, der um das Wohl seines Volkes besorgt war.
„Säße er auf Roen Orms Thron, würde ich Thamar bitten, sich ein neues Lebensziel zu suchen“, dachte Inani aufgewühlt. „Sieh ihn dir an, Corin, er ist weder ein Despot noch ein blutrünstiger Kriegstreiber. Ich verstehe nicht, was Estas Sorgen sollen.“
„Ich stimme dir zu. Vielleicht will er den Thron, um Roen Orm einen König zu bieten, den diese Stadt verdient hat?“
„Ja. Und ich würde ihn persönlich an die Hand nehmen und dorthin führen, wenn es Thamar nicht gäbe. Spürst du ihn? Eine solche Präsenz habe ich überhaupt noch nie bei einem sterblichen Mann erlebt – dort kniet ein Herrscher, der sich nur seinem Gott beugt. Kein Wahnsinniger, der seine Soldaten in den Tod jagt, im hoffnungslosen Kampf gegen unbesiegbare Priester und uneinnehmbare Mauern, das glaube ich einfach nicht. Er muss wissen, dass die Elfen jahrhundertelang vergeblich gegen Roen Orm angerannt ist, trotz ihrer starken Magie, er kann unmöglich einen Eroberungsfeldzug führen wollen.“
„Inani, was sollen wir tun?“
Inani schwieg. Das war nicht bloß eine schwierige, sondern unmögliche Entscheidung. Warum sollte sie diejenige sein, die diese Entscheidung traf? Ihre Augen hingen an Ceros kraftvoller Gestalt. Es gab nicht viele Herrscher auf der Welt, die so eindeutig zum Führer geboren waren! Warum hatte man in Roen Orm noch nichts von ihm gehört? Warum gehörte er nicht mit zum Rat der Dreizehn, jenen weisen Fürsten und Königen aus ausgewählten Provinzen, die sich regelmäßig trafen, um die Angelegenheiten der von Roen Orm abhängigen Ländereien zu entscheiden?
„Ich weiß zu wenig über ihn, Corin. Wie lange ist er schon Fürst von Barrand? Als ich die Sprache gelernt und mich ein wenig mit dem Gebiet beschäftigt habe, war er noch nicht hier, das weiß ich.“
„Wir finden es heraus. Trotzdem, was ist jetzt der richtige Weg?“
„Wer ist da?“ Inani zuckte zusammen, als sie die leise Stimme des Fürsten hörte. Er hatte sich nicht bewegt, seine Augen waren weiterhin geschlossen und er fürchtete sich offensichtlich nicht. Er musste sie entweder atmen gehört oder ihre Nähe gespürt haben. Entschlossen trat sie hinter der Säule hervor, bewegte sich dabei, als würde sie am liebsten weglaufen wollen, die Altartücher fest an sich gepresst.
„Herr, ich hatte Angst, Euch zu stören“, wisperte sie mit demütig gesenktem Kopf.
„Ich kenne dich nicht. Bist du neu?“, fragte er, nachdem er sie einen Moment lang gemustert hatte. Inani nickte stumm und streckte die Arme mit der Stofflast vor.
„Wohin? Ich möchte Euer Gebet nicht stören“, murmelte sie. Cero erhob sich geschmeidig und kam auf sie zu.
„Sieh mich an, Mädchen“, forderte er, die Stimme leise, der Tonfall freundlich, aber bestimmt.
Inani prüfte hastig, ob ihre Verbindung mit der Schlange
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