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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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Äußeren.«
    »Das stimmt natürlich auch, Mann«, erwiderte der Amca Bey und kratzte sich am Kopf. »Ich glaub, du hast recht.«
    Mit euphorischen Ausrufen bestätigten die Musketiere auch diese Schlussfolgerung und stürzten sich auf ihre Gläser. »Dann lasst uns auf schöne Frauen trinken!«, schrie Mecit.
    »Um Himmels willen«, beugte sich der Holzkopf zu ihm hinüber. »Lass dich aber trotzdem bloß nicht von der Schönheit blenden. Da gibt es noch ein anderes Kriterium, das bei einer Frau mindestens genauso wichtig ist.«
    Mit dieser Aussage versetzte er Mecit, der in Bälde in den Hafen der Ehe steuern sollte, ordentlich in Stress. »Und das wäre, Abi?«, fragte er mit voller Konzentration auf den Holzkopf.
    »Wie sie im Bett ist«, antwortete der Holzkopf. Dann brach er in ein ekelhaftes Lachen aus.
    In diesem Stil fuhren sie fort. Sie tranken und veralberten sich gegenseitig. Wenn hin und wieder ein etwas zu schlüpfriger Witz fiel, forderte einer die anderen auf, sich in Anbetracht meiner Anwesenheit doch etwas gesitteter zu benehmen, woraufhin ein anderer wiederum – in der Regel der Holzkopf – ihn an die Tatsache erinnerte, dass ich schließlich ein junger Bursche sei, und dann tranken sie alle auf mein Wohl. Ich tat dasselbe – heimlich aus Rebi Abis Rakıglas. Alle schienen mehr oder minder bei bester Laune zu sein.
    Mein Vater war damit beschäftigt, sich still und ruhig einen Rakı nach dem anderen durch die Kehle zu jagen. »Abi, mach ein wenig langsamer, wenn’s dir recht ist«, sagte Mecit. »Du musst morgen früh zur Arbeit.«
    »Nein«, erwiderte mein Vater mit einer Miene, von der ich nicht genau sagen konnte, ob er lächelte oder aufbrauste. »Morgen wird nicht gearbeitet.«
    »Alles in Ordnung, Abi? Oder hast du etwa gekündigt?«
    »Ach was. Morgen findet in unserem Haus die Prüfung für die Aufnahme in den Staatsdienst statt. Da haben wir zwei Tage frei.«
    »War die Prüfung nicht schon längst?«, fragte ich. Ich erinnerte mich an das Papier, das ich auf Erdoğan Beys Schreibtisch gesehen hatte. Ich war sicher, dass darauf etwas wie »Liste der Zugangsberechtigten in den Staatsdienst nach bestandener Prüfung« gestanden war.
    »Und wenn schon?«, meinte mein Vater und leerte sein Rakıglas. »Ist doch alles nur Show. Schon Monate im Voraus steht fest, wer die Prüfung bestehen wird. Da kommt ein Haufen Leute aus allen Ecken des Landes und verkommt hier.«
    »Das sind doch alles Hurensöhne, Abi«, sagte Mecit.
    Mein Vater nickte. »Nimm unseren Vorgesetzten Erdoğan, diesen Arsch. Der verdient sich eine goldene Nase an dieser Geschichte.«
    »Erdoğan, der Doppelarsch«, korrigierte ich.
    »Und warum kann man diese Ärsche nicht entlarven, Abi? Warum rührt sich keiner?«
    Mecits Augen glänzten blutunterlaufen, und seine Ausdrucksweise zeigte, dass sein Herz erfüllt war von jenem Sinn für Gerechtigkeit, der den Betrunkenen so eigen ist.
    »Solche Dinge lassen sich nie beweisen«, sagte mein Vater. »Scheiß drauf.«
    Wenige Minuten später waren mein Vater und seine Freunde in ein leidenschaftliches Gespräch über unvergessliche Beşiktaş-Spieler versunken. Ich selbst biss mir in den Hintern wegen der verpassten Gelegenheit. Wäre ich so schlau gewesen und hätte eine Fotokopie dieses Dokuments gemacht, hätte ich diesem Arschloch vielleicht das Fell über die Ohren ziehen können. Leider konnte ich in der Angelegenheit nichts mehr tun. Könnte ich wenigstens etwas finden, das zur Lösung des Mordfalls beitrug, und meinen Vater wenn schon nicht vor dem Exil, dann wenigstens vor den ekelhaften Verleumdungen Metin Bilgins retten! Da er nun mal gerade neben mir saß, überlegte ich mir, ob ich etwas aus Rebi Abi herauskriegen könnte. Ich ließ noch einmal alle Geschehnisse seit dem Mord bis dato Revue passieren, und da kam mir eine Frage in den Sinn, die eigentlich nicht allzu wichtig schien, mir aber schon eine Weile unter den Nägeln gebrannt hatte. Behutsam wandte ich mich an Rebi Abi, der wegen des Krachs und des Qualms völlig am Ende zu sein schien. »Bei der Beerdigung deines Vaters«, sagte ich so beiläufig wie möglich, »habe ich mitbekommen, wie du einen Minianfall von schlechtem Gewissen erlitten hast, nachdem Şemi Abi dich wachgerüttelt hatte. Wenn ich mich nicht irre, sagtest du so etwas wie: ›Das ist meinetwegen passiert.‹ Was nagt denn da so an dir, mein lieber Rebi Abi?«
    Sogar in den begrenzten Lichtverhältnissen der Kneipe war klar zu erkennen, wie

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